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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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ihr zu überlassen. Valentina seufzte traurig, ehe sie sich abwandte – und Saqui, ihrerseits von Alicia dazu aufgefordert, tat es ihr gleich.
    Stille, die nur von Tinos Quengeln durchbrochen wurde, senkte sich über sie, als Aurelia mit Alicia allein war. Alicia wahrte Abstand, ihr Blick blieb ausdruckslos. Endlich, als Aurelia glaubte, diese Gleichgültigkeit nicht länger ertragen zu können, fragte sie: »Was tust du hier?«
    Aurelia rang nach Worten. Sie wusste – es war sinnlos, irgendwelche Lügen aufzutischen, so zu tun, als wäre sie nicht auf der Hacienda gefangen gewesen und als wollte sie Tino nicht für immer mit sich mitnehmen. Vor allem aber wusste sie: Auch wenn es irgendeine Möglichkeit gäbe, in diesem Haus zu bleiben, indem sie Williams Furcht vor Skandal und Aufsehen nutzte – sie wollte es nicht. In diesem Haus würde sie ersticken. Und Tino auch. Nein, sie konnte nicht dulden, dass er auch nur eine Stunde länger hierblieb und auf gleiche Weise erzogen wurde wie einst Guillermo und Tiago.
    »Du hast zwei Söhne verloren«, wandte sie sich mit zitternder Stimme an Alicia. »Lass bitte nicht zu, dass ich meinen verliere.«
    »Tino hat es doch gut hier.«
    Aurelia machte einen Schritt auf sie zu und merkte, wie Alicia kaum merklich zusammenzuckte. Sie war unnahbar und steif wie immer, aber hinter dem maskenhaften Gesicht, das fühlte sie, lag echte Trauer und somit ein echtes Gefühl.
    »Hast du es denn gut hier?«, rief Aurelia verzweifelt. »Bist du denn glücklich?«
    Alicia zog die Augenbraue hoch – vielleicht ein Zeichen von Arroganz und Verachtung, vielleicht aber auch ein Zeichen von tiefer Verunsicherung. »Wie kommst du darauf, daran zu zweifeln?«
    »Du hast nie Englisch gelernt«, erklärte Aurelia hastig, »du hast nie deiner Religion abgeschworen. Es gab etwas, das du trotz aller vermeintlicher Opferbereitschaft nicht aufgeben wolltest. Und ich will meinen Sohn nicht aufgeben. Verlang es nicht von mir.«
    Alicia rang nach Worten, sagte aber nichts. Ihre großen, dunklen Augen, eben noch kalt und hart, schienen feucht zu glänzen. Das gab Aurelia den Mut, fortzufahren: »Und was besagte Opferbereitschaft anbelangt – es mag ja sein, dass Frauen sich dem Willen des Mannes fügen müssen. Aber zu ihren Tugenden kann doch unmöglich zählen, ihr Kind aufzugeben!«
    Alicias starre Haltung bröckelte noch mehr, als Aurelia einen weiteren Schritt auf sie zumachte. So dicht standen sie voreinander, dass Aurelia ihren Atem spüren konnte – zu ihrem Erstaunen war er nicht kalt, wie sie es insgeheim immer vermutet hatte, sondern warm. Alicia hob die Hände, und kurz hatte Aurelia Angst, sie würde ihr Tino wegnehmen, doch stattdessen streichelte sie nur sanft über seine Wangen.
    Überrascht ob dieser Berührung, hörte Tino zu quengeln auf und blickte neugierig auf seine Großmutter. Die erwiderte den Blick, in dem plötzlich Ehrfurcht aufblitzte – gleiche Ehrfurcht, die sie zeigte, wenn sie vor ihrem Altar kniete und ihre Heiligenstatuen ansah.
    »Er … er ist so … lebendig«, murmelte sie – und Aurelia wusste nicht, was sie mehr überraschte: die unerwarteten Worte oder das Beben in Alicias Stimme.
    »Dann hilf mir, dass er es bleibt!«, flehte sie. »William hat so klare Vorstellungen vom Leben, das Tino zu führen hat. Er wird nicht dulden, dass er sich frei entfaltet!«
    »Ich kann doch nicht …«
    »Natürlich kannst du! Nicht um meinetwillen! Aber um Tinos willen!«
    Alicias Blick flatterte. Vielleicht täuschte sich Aurelia – aber sie glaubte zu sehen, wie die schmalen Lippen zitterten. »Ich habe William nie geliebt«, brachte sie tonlos hervor. »Und Guillermo und Tiago habe ich zu wenig geliebt. Aber Tino … Tino liebe ich!«
    Die Trauer, die Aurelia vorhin schon an ihr erahnt hatte, brach mit aller Macht hervor – nicht nur Trauer um die Verstorbenen, sondern Trauer um vergeudete Möglichkeiten. Und noch etwas anderes war zu fühlen – eine Nähe, eine Offenheit, von der Aurelia nicht gedacht hätte, dass Alicia dazu fähig war.
    »Gerade weil du ihn liebst, darfst du nicht zulassen, dass er von mir getrennt hier aufwächst!«, beschwor sie sie.
    Alicia hatte fortwährend Tinos Wangen gestreichelt. Nun ließ sie ihre Hände sinken. Sie drehte sich leicht zur Seite, Erinnerungen verschleierten ihren Blick. Ihr Gesicht, in dem eben noch so deutlich die Spuren von Zeit und Trauer gestanden hatten, schien plötzlich wieder jung.
    »Weißt du, was

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