Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
Vom Netzwerk:
William mit ihnen wohl nicht über sein Trachten gesprochen hatte, die unliebsame Schwiegertochter abzuschieben.
    Das größte Hindernis, das nun zwischen ihr und Tino stand, war Saqui. Aurelia konnte unmöglich vorhersagen, wie diese auf ihr Erscheinen reagieren würde. Sie war zwar die Frau des geliebten Chico, und das sprach für sie – aber zugleich Rivalin um Tinos Liebe, den sie seit dem Tag der Geburt besitzergreifend wie ihr eigenes Kind behandelte.
    Aurelia hatte das Haupthaus erreicht, durchquerte das Speisezimmer und erreichte die Treppe. Auf Zehenspitzen schlich sie sich nach oben. Niemand war zu sehen – nur Alicias und Valentinas gedämpfte Stimmen waren aus dem Salon zu hören. Aurelia verstand nicht, was sie sagten, aber als sie Alicia sprechen hörte, befiel sie kurz ein schlechtes Gewissen, ihr wie eine gemeine Diebin den Enkelsohn zu rauben. Allerdings – war nicht auch Alicia bereit gewesen, sie auf der Hacienda verrotten zu lassen?
    Ihr Kleid raschelte bei jedem Schritt. Valentina hatte es ihr gekauft – es war zwar schwarz und schmucklos, jedoch aus edlem Taft, um die Dienstboten nicht zu verwirren.
    Weiterhin begegnete sie keinem von diesen. Vielleicht waren sie allesamt im Salon, in der Küche oder im oberen Stockwerk, das sie nun selbst erreichte. Tinos Kinderzimmer lag gleich gegenüber von ihrem einstigen Gemach. Sie fühlte sich beklommen, als sie sich ihm näherte, vernahm erst nur das Knirschen der Eichendielen unter ihren Schritten, dann plötzlich sein Juchzen – ebenso hell und hoch wie Saquis Stimme, die auf das guagua einredete. In jenem schnellen Fluss an Worten war kaum ein einzelnes zu verstehen, aber Tino lachte und lachte.
    Der Klang erfreute Aurelia – und tat ihr unendlich weh.
    Ich sollte bei ihm sein. Ich müsste ihn zum Lachen bringen. Ich hätte mich niemals abschieben lassen sollen.
    Saquis Redefluss riss ab. Der letzte Satz, weiterhin in jenem hohen Singsang gehalten, bekundete, dass sie nun guagua einen Obstbrei machen würde. Rasch eilte Aurelia zur nächsten Tür, riss sie auf und versteckte sich dahinter, während Saqui den Gang betrat und – schon etwas schwerfällig – nach unten ging.
    Eine Weile blieb Aurelia stehen. Sie war in ihr ehemaliges Ankleidezimmer geraten. Immer noch hingen hier viele ihrer einstigen Kleider – vielleicht hatten William und Alicia schlichtweg vergessen, sie zu entsorgen. Kurz überkam sie der Drang, sich hinter den Falten von schweren Stoffen zu verstecken und nie wieder hervorzukommen, denn nun stand der schwierigste Teil ihres Plans bevor: Tino mit sich zu nehmen – Tino, der sie vielleicht nicht erkannte, der bei ihrem Anblick schreien würde.
    Sie atmete tief durch, verließ das Ankleidezimmer und betrat das Kinderzimmer. Bis vor kurzem hatte der Kleine in der Wiege geschlafen, nun hatte er ein Bettchen bekommen, auf dem er saß und ihr mit großen Kulleraugen entgegenstarrte. Seine Haare, bei der Geburt so schwarz wie ihre, waren immer heller geworden und hatten sich gekräuselt. In den wenigen Wochen war er deutlich gewachsen, und die Hände, die er ihr unwillkürlich entgegenstreckte, waren speckig.
    Aurelia stürzte auf ihn zu.
    »Tino, o Tino!«
    Er schrie nicht, sondern gluckste so amüsiert wie vorhin in Saquis Gegenwart, als sie ihn hochhob, ihn an sich presste, die weiche Haut streichelte, diesen süßlichen Geruch nach Milch einatmete. Ihr Gesicht war ihm zwar nicht so vertraut wie das von Saqui oder Alicia – aber er scheute sie nicht. Sie war trotz allem seine Mutter.
    »Ich bin es … deine Mama …«
    Sie wusste – es war keine Zeit, sich diesen starken Gefühlen hinzugeben, aber sie konnte nicht anders, als dieses Glück, ihn endlich wieder zu halten, auszukosten. Viel zu lange hatte sie die Sehnsucht nach ihm unterdrückt, um jetzt die Tränen unterdrücken zu können, die ihr aus den Augen strömten. Sie hatte ihren Sohn wieder. Sie würde ihn nie wieder loslassen.
    »Doña Aurelia?«
    Sämtliche Wärme schwand aus ihren Gliedern, als sie herumfuhr und Saqui dort stehen sah. So rundlich, wie sie geworden war, brauchte sie länger als ein beweglicher Mensch wie Aurelia, die Treppe herunterzusteigen. Offenbar war sie erst bei der Mitte angekommen, als ein unerwartetes Geräusch sie alarmierte und dazu brachte, ohne den Obstbrei zurückzukehren.
    Aurelias Mund wurde ganz trocken.
    »Saqui …«
    »Was machen Sie hier? Sie sollten doch nicht hier sein!«
    Diese Stimme hatte nichts mehr von

Weitere Kostenlose Bücher