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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Unzahl an Kerzen beleuchtet. Ihre Kleider waren bunt – aber die ersehnten Farben verhieß auch dieser Altar nicht: Tiago hatte ihn immer gefürchtet.
    »Es ist ohnehin bald fünf Uhr … dann werden meine Eltern zum Tee in den Salon kommen …«
    Und seine Mutter würde seinen Vater schweigend und nur mit einem leichten Kopfnicken begrüßen und ihn wie einen Gast behandeln, zuvorkommend, höflich, aber distanziert.
    Plötzlich wurde ihm die Kehle eng. Das Schlimmste in seiner Kindheit waren nicht das Dunkle und der Mangel an Farbe – es war dieses Steife, Distanzierte, Leblose, das ihn einhüllte wie ein schwarzer Mantel, ihn ängstigte und lähmte und ihn zu ersticken drohte.
    Ehe die Erinnerungen übermächtig wurden, öffnete sich die Tür. Der livrierte Kutscher der Familie, der sie auch abgeholt hatte, führte Aurelia herein. Sie hatte ihre Haare zu Zöpfen geflochten und um den Kopf gewunden und trug einen dunklen Rock und eine malvenfarbene Bluse, die ihre Augen noch dunkler erscheinen ließ. In der riesigen Halle wirkte sie kleiner und zarter als sonst, und sein Bedürfnis, sie zu schützen, war groß wie nie. Und dennoch – sie wirkte glücklich. Sie war ob der zurückliegenden Verletzung zwar noch etwas blass und ausgezehrt, aber sie hatte sich rasch erholt. Schon nach wenigen Tagen im Bett hatte sie wieder aufstehen können, und erst gestern hatte Doktor Espinoza, zu dem Tiago sie gebracht hatte, festgestellt, dass ihre Wunde gut verheilt war und die Narbe mit der Zeit verblassen würde. Jetzt kam sie schnellen Schrittes auf ihn zugeeilt.
    Wann, dachte er unwillkürlich, wann war jemals einer in diesem Haus so schnellen Schrittes gegangen?
    Plötzlich musste er lachen, und das dunkle Haus verlor seine Macht. Einst hatte die Malerei ihn davor bewahrt, dieser Macht zu verfallen – jetzt war es Aurelia, die ihn erlöste.

    Als seine Eltern Aurelia zum ersten Mal sahen, wurde sie gerade von Saqui an sich gepresst. Seine Nana hatte es immer geschafft, sich in diesem Haus überschwengliche Gefühle zu bewahren, und mit der gleichen Herzlichkeit, wie sie ihn oft an ihren dicken Leib gezogen hatte, war sie nun auch auf Aurelia zugegangen.
    »Das ist also die Niña, an die Tiago immerzu denkt.«
    Eigentlich hatte Tiago mit Saqui kaum über Aurelia gesprochen, und er war darum gerührt, dass es jemanden wie sie gab – eine Frau, die frei herausplapperte, was ihr auf der Zunge lag, die neugierig und wachsam war und der nicht entging, was hinter anderen Köpfen vorging. Ebenso dankbar war er, dass Aurelia sofort antwortete, sich erst ein unbekümmertes Gespräch entspann und dann eine lange Umarmung daraus wurde. Doch just als Saqui sie in ihren kräftigen Armen hielt, kam William aus seinem Arbeitszimmer neben der Eingangshalle und Alicia aus ihrem Gemach im oberen Stockwerk. Wie immer fanden sie sich pünktlich um fünf Uhr nachmittags – keinen Augenblick früher oder später – im Salon ein, wie immer war ein jeder zunächst seinen eigenen Verpflichtungen nachgegangen. Langsam stieg Alicia Stufe für Stufe nach unten, während William seine Frau am Ende der Treppe erwartete und ihr den Arm reichte, damit sie sich einhaken und von ihm in den Salon geleitet werden konnte. Nie kam er ihr auch nur eine Stufe entgegen, und Alicias Blick war jedes Mal so versunken, als würde sie ihren Mann erst bemerken, wenn sie unten ankam.
    Nur heute war es anders. Alicias Blick traf Aurelia, und sie verharrte prompt auf der oberen Stufe. William folgte dem Blick und blieb in der Tür seines Arbeitszimmers stehen. Und Tiago war es augenblicklich unangenehm, dass seine Eltern Aurelia so vertraut mit Saqui sahen, die in ihren Augen weniger die geliebte Nana ihres Sohnes war, sondern ein Dienstmädchen unter vielen. Er selbst schäkerte zwar oft vor den Augen seiner Eltern mit ihr, erwiderte ihre Berührungen und erwies sich als taub für die Ermahnungen, dass er die unsichtbare Grenze, die in diesem Haus zwischen den einzelnen Bewohnern gezogen wurde, leichtfertig überschritt – er, der Freigeist, der Künstler, der Rebell, der als Zweitgeborener mehr Freiheiten hatte und sich diese auch nahm –, doch heute fühlte er nicht den üblichen Trotz, sondern errötete. Am liebsten hätte er Aurelia weggezogen. Diese hatte seine Eltern bis jetzt nicht bemerkt und fuhr nur herum, weil Saqui sie losließ. Scheu sah sie erst William, dann Alicia an und senkte dann rasch ihren Blick.
    Kurz regte sich niemand.
    Er hatte

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