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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Verwirrung wich neuerlich aufflammendem Zorn, ihr Zorn alsbald wieder Erschöpfung. Schließlich verließ sie das Krankenhaus, ohne nach Aurelia zu schauen.

    Nach seiner Begegnung mit Victoria Hoffmann ging Andrés eine Weile im Krankenhausflur auf und ab. Ihr gegenüber hatte er es sich nicht anmerken lassen – aber insgeheim fühlte er sich zerrissen. Er machte sich ernsthafte Sorgen um Aurelia, er hatte wahrlich nicht gewollt, dass diesem hübschen, zarten Mädchen etwas zustieß! Zugleich konnte er die tiefe Befriedigung nicht unterdrücken, dass sie nun die Wahrheit über Tiago wusste. Ganz gleich, worüber die beiden hinter der geschlossenen Tür des Krankenzimmers tuschelten – unmöglich konnten sie weitermachen wie bisher!
    »Was machst du hier?«, hörte er plötzlich die Stimme seines Vaters fragen. »Du solltest bei Tiago sein.«
    Er hatte ihn nicht kommen gehört, fühlte sich ertappt, und als er herumfuhr, war er kurz nicht Herr seiner Züge. Wie er es hasste, wenn sein Vater das zu ihm sagte!
    Du solltest bei Tiago sein …
    Diesen Satz hatte er oft gehört, nach seinem Geschmack viel zu oft, schon als er noch ein ganz kleines Kind war. Damals hatte ihn sein Vater immer wieder ins Haus der Familie Brown y Alvarados mitgenommen. Er war so stolz, Williams und Alicias Hausarzt zu sein – und er hatte es als glückliche Fügung angesehen, dass sein Sohn im selben Alter war wie Tiago und die beiden sich anfreundeten.
    »Also, was stehst du hier herum?«
    Bitterkeit stieg in Andrés auf. Am liebsten hätte er den Vater angeschrien. Ich habe doch nur darum Wert für dich, weil ich deine Beziehung zu einer Familie der Oberschicht festige! Weil du dir davon erhoffst, dass dein großer Lebenstraum verwirklicht wird!
    Aber natürlich blieben diese Worte ungesagt. Wie immer.
    »Tiago hat sich in diese Aurelia verliebt«, murmelte er stattdessen, »aber er kann sie unmöglich heiraten!«
    Ramiro Espinoza nickte sofort. »Das glaube ich auch«, erklärte er.
    Andrés fühlte Genugtuung, wenn er an das Leid dachte, das Tiago ertragen würde müssen – und zugleich fand er es befremdlich, wie bereitwillig sich sein Vater seinem Urteil anschloss: Er kämpfte doch selbst sein Leben lang für den gesellschaftlichen Aufstieg – letztlich müsste er es gutheißen, wenn es einem anderen gelang und selbst die Tochter von patagonischen Schafzüchtern Teil der Oberschicht werden könnte. Umso mehr würde es ihm als Arzt zustehen!
    Aber letztlich, dachte er, war Ramiro Espinoza genauso ein Snob wie William Brown, mit dem Unterschied, dass William Brown auf die Mittelklasse herabblickte und Ramiro Espinoza, der trotz seiner Doktorwürde nur zu dieser Mittelschicht gehörte, auf die Unterschicht.
    »Wie auch immer«, sagte sein Vater eben, »Tiago wird das selbst herausfinden, dieser liebestolle Narr. Und du musst ihm dabei zur Seite stehen und ihn trösten.«
    Andrés nickte, aber insgeheim packte ihn die Angst. Was, wenn Aurelia ihn bei Tiago angeschwärzt hatte, ihm anvertraut hatte, dass er ihr nicht nur die Wahrheit über seine Herkunft erzählt hatte, sondern sich auch an sie herangemacht hatte? Und was noch schlimmer war: Was, wenn sein Vater es erfuhr?
    »Aurelia ist mit Victoria Hoffmann verwandt, nicht wahr?«, fragte er, um von dem Thema abzulenken. »Das ist doch die aufsässige Krankenschwester, von der du schon so oft erzählt hast!«
    »Vor allem ist sie eine Deutsche!«, rief Espinoza.
    Er spie das Wort förmlich aus, und als Andrés die gleiche Verbitterung an ihm fühlte, wie er sie eben noch selbst geschmeckt hatte, freute er sich diebisch. Auf so viele Dinge seines Lebens hatte er keinen Einfluss, konnte sich nicht frei für etwas entscheiden, sondern wurde von seinem Vater dazu gedrängt: ob es darum ging, um Tiagos Freundschaft zu buhlen, Medizin zu studieren oder hinterher eine bestimmte Fachdisziplin zu wählen. Wäre es nach Andrés selbst gegangen, so hätte er am liebsten am Pathologischen Institut der Universidad de Chile, das der bedeutende Mediziner Max Westenhöfer erst ein Jahr zuvor gegründet hatte, gearbeitet – stattdessen verlangte Ramiro, er sollte wie er Allgemeinmediziner werden und künftig seine Aufgaben als Hausarzt der Brown y Alvarados’ übernehmen.
    Nun gut, Andrés fügte sich, wie er sich stets gefügt hatte – aber es bereitete ihm Befriedigung, wenn auch sein Vater nicht bekam, was er wollte, und nicht immer frei über sein Leben entscheiden konnte. Seine

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