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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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seinen Eltern einen Besuch angekündigt, aber nichts weiter über diesen verraten. Wahrscheinlich hatten sie einen anderen Studenten der Escuela erwartet, denn er hatte manches Mal einen Kommilitonen mitgebracht.
    Doch allzu bald fanden sie ihre Fassung wieder und lösten sich aus der Starre: Die Mutter schritt wie gewohnt die Treppe hinunter, der Vater ging auf sie zu. Nur ein wenig Überdruss stand in Williams Gesicht. Er ärgerte sich selten lautstark über den Sohn, der diese bedauerliche Schwäche für die Mittel- und Unterschicht erkennen ließ; er würde auch niemals die Contenance verlieren und ihn vor Fremden maßregeln. Aber er hegte die Hoffnung, dass sich Tiago dereinst so benehmen würde, wie es seinem Stand entsprach, und nicht ständig mit neuen Provokationen aufwartete.
    Alicia wiederum hatte die Augenbrauen etwas höher gezogen – das einzige Zeichen ihrer Überraschung, dass er immer wieder aufs Neue den Kampf mit William aufnahm. Tiago war sich nach all den Jahren dieser vielen stumm ausgefochtenen Zweikämpfe nicht sicher, was sie wirklich davon hielt: ob sie in Wahrheit entsetzt darüber war oder zutiefst zufrieden über so viel Dreistigkeit, die sie sich selbst nie angemaßt hätte. Dass ihr Gesicht nicht ganz so starr wirkte wie sonst, gab ihm immerhin den Mut, Aurelia an die Hand zu nehmen und sie zu sich zu ziehen.
    »Mutter – das ist Niña Aurelia Hoffmann.«
    Aurelia hielt ihren Blick weiterhin gesenkt, vollführte einen Knicks, und Alicia war immerhin dazu bereit, leicht zu nicken. Auch im Blick des Vaters leuchtete kurz so etwas wie Hoffnung auf. Der Name war deutsch – und er pflegte enge Kontakte zu den Deutschen, die wie die Briten manchen Wirtschaftszweig in Chile dominierten. Er schien fieberhaft zu überlegen, ob er den Namen kannte und ob sie vielleicht das Kind reicher Eltern war. Doch jener Ausdruck der Hoffnung schwand bald – zum einen war ihm der Namen wohl fremd, zum anderen war er wohl zum Schluss gekommen, dass Tiago nie ein Mädchen ohne dessen Eltern mit zum Tee gebracht hätte, wenn diese von hohem Rang gewesen wären. Wie Alicia nickte er, allerdings weniger, um Aurelia zu begrüßen, sondern um anzudeuten, dass sie sich nun in den Salon gesellen sollten.
    Der Tisch war wie gewohnt überreich gedeckt. In der Mitte lag ein Spiegel, auf dem kleine Lampen brannten und der das weiche Licht reflektierte. Sein Schein fiel auf das kostbare Baccara-Service und die Vase mit einer grünen und einer rosa Magnolie.
    Hier ging man mit dem Essen verschwenderisch um: Es war üblich, viel mehr zu servieren, als jemals gegessen wurde – und das galt auch für die Teestunde. Um beiden Kulturen der Eltern – der chilenischen und der englischen – gerecht zu werden, wurden kleine Gurkenschnittchen und Scones serviert, aber auch die beliebten Alfajores – Teegebäck aus Mehl, Eigelb und Schweinschmalz, dessen zwei Teile mit einer Schicht Manjar verbunden wurden, einer süßen Masse aus Milch und Zucker. Zwei Stunden musste man sie kochen lassen, und als Kind hatte Tiago oft in der Küche gesessen und gewartet, dass die Alfajores fertig wurden und er sie gierig verschlingen konnte. Er hatte jedoch nie gesehen, dass jemand hier im Salon sie anrührte. Neben dem Gebäck gab es frisches Obst: Es wurde in einer Fruchtschale gereicht, die wie Glocken klang, wenn man mit dem schmalen Fruchtmesser dagegen stieß, und zum Tee und Kaffee wurde gezuckerte Limonade serviert, mehrere Sorten Likör, Scotch, Sherry oder Whisky.
    Schweigend nahmen sie um den runden Teetisch Platz, und Tiago sah, wie Aurelia den Raum flüchtig musterte. Er versuchte ihn durch ihre Augen zu sehen – das frisch gewachste Parkett, die Seidentapeten aus New York, die mächtigen venezianischen Spiegel, die rechts und links von Marmorsäulen umgeben waren, das Grammophon, das auf einer Mahagonikommode stand. Zur einen Seite war der Salon zum Wintergarten geöffnet, wo in großen Käfigen Kanarienvögel zwitscherten – ähnliche Vögel, die an den Wänden auf Fresken abgebildet waren. Auf der gegenüberliegenden Seite wies eine Tür zur Bibliothek, wo in den glänzenden Regalen Figuren aus Elfenbein standen und das Eichenparkett mit edlen Perserteppichen bedeckt war.
    War Aurelia eingeschüchtert davon, voller Bewunderung, oder fühlte sie sich in all dem Reichtum gefangen wie die Vögel im Käfig?
    Zuletzt blieb ihr Blick an einem Bild hängen, nicht irgendeinem, sondern einem von ihm gemalten. Es zeigte

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