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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Trostes bedürfen als erwartet.«
    Ramiro Espinoza grinste, und plötzlich tat Andrés es ihm gleich. Ganz egal, was zwischen Vater und Sohn stand – Frustration, Verbitterung und falsche Erwartungen –, in dieser Sache waren sie geeint. Es gab keine Zukunft für Tiago und Aurelia.
    Ramiro gönnte Aurelia nicht, womöglich zu erreichen, was ihm selbst verwehrt blieb: den gesellschaftlichen Aufstieg.
    Und Andrés gönnte Tiago nicht, die schöne, liebenswerte, freundliche Aurelia zu bekommen. Er wollte sie selbst. Für sich ganz alleine.

10. Kapitel
    D ie Niña ist jetzt hier.«
    Tiago zuckte zusammen. Erst jetzt merkte er, wie groß seine Anspannung war. Er erhob sich schnell und rang sich ein Lächeln ab. »Danke, Saqui.«
    Sein einstiges Kindermädchen erwiderte das Lächeln breit und zwinkerte ihm zu.
    Als er die Treppe hinunterging, wurde sein Gesicht schlagartig wieder ernst. Und wenn er zu weit gegangen war, als er Aurelia in sein Zuhause eingeladen hatte?
    Zu seinem Erstaunen bereiteten ihm weniger seine Eltern William und Alicia und was sie über Aurelia denken würden Sorge, sondern die Tatsache, dass das Haus so dunkel war. Alles hier war kostbar, atmete Vornehmheit, verkündete Reichtum – aber es wirkte so … finster. Wie würde sie sich nur in dieser Umgebung fühlen?
    Die Möbel – auf Wunsch des Vaters vor allem im viktorianischen Stil gehalten – waren wuchtig, die Vorhänge so dick, dass sie sämtliches Tageslicht verschluckten; die Bilder an den Wänden zeigten Szenen aus der Geschichte, die um Krieg und Schlachten kreisten. Die Tapeten waren mit ihrem Blumenmuster zwar etwas lieblicher, allerdings waren die Blumen in keinem strahlenden Rot, Gelb oder Blau gehalten, sondern dunkelviolett und der Hintergrund beinahe schwarz.
    Schon als kleines Kind hatte er gehört, wie sich Besucher respektvoll über die überaus erlesene Einrichtung äußerten und wie sie bewundernd darüber tuschelten, dass William nicht nur Geld, sondern Geschmack besäße, aber er selbst hatte immer nur gedacht, dass in diesem Haus die Farben fehlten.
    Aurelia dagegen … Aurelia verhieß so viele Farben! Nicht nur dank ihrer Schönheit, nicht nur dank ihrer Bilder, unkonventionell diese und auch einzigartig, sondern mit ihrem ganzen Wesen, dieser Mischung aus Liebreiz, aus Schüchternheit, aus Streben nach Freiheit. Etwas Widersprüchliches lag darin und gerade darum etwas so Lebendiges. Sie war eine Prinzessin, die auf Bäume kletterte. Eine verletzliche Schönheit, die fluchen konnte. Die Tochter von einfachen Schafzüchtern, deren Gesten doch so ungemein anmutig waren, deren Schritte so weich ausfielen …
    Er musste lächeln, als er an sie dachte, und seine Anspannung verflog. Erst jetzt bemerkte er, dass Nana Saqui ihm nach unten gefolgt war, und auch das gab ihm Zuversicht. Wie viele Kindermädchen der Oberschicht war sie das Mischlingskind eines Chilenen und einer Indianerin. Frauen wie ihr sagte man besondere Treue nach und viel Kinderliebe. Tiago wusste nicht, was sie getan hatte, ehe sie seine Nana wurde, aber seitdem lebte sie auf jeden Fall hier im Haus und schien kein anderes Ziel zu kennen, als sein Wohlbefinden zu gewährleisten. Auch wenn sie ihn nicht mehr mit ihren kupferbraunen Händen liebkoste wie in Kinderzeiten, war es doch immer eine Wohltat, wenn ihre dunklen Augen liebevoll auf ihn gerichtet waren.
    »Soll ich Ihrer Frau Mutter Bescheid sagen?«, fragte sie nun.
    Sie klang aufgeregt, offenbar war sie schon sehr neugierig auf Aurelia. Nana Saqui war die Erste gewesen, die geahnt hatte, dass Liebe ihn getroffen hatte – nicht einem Pfeil gleich, obwohl das ein verbreitetes Bild war, denn ein Pfeil, so dachte sich Tiago, war viel zu klein, konnte nur in eine winzige Stelle seines Körpers dringen, aber nicht in jede Faser.
    Der Gedanke an seine Mutter legte sich allerdings wie ein dunkler Schatten auf sein Herz.
    Bevor Alicia zur Teestunde die Treppe herunterschreiten würde – hoheitsvoll, steif, als hätte sie niemals einen schnellen Schritt gemacht –, betete sie meist einen der drei täglichen Rosenkränze. In ihrem Gemach, das mit den gleichen dunklen, mächtigen Möbeln eingerichtet war wie der Rest des Hauses, roch es stets ein wenig nach ihrem Veilchenparfüm – und nach Weihrauch. An einer Wand stand ihr persönlicher Hausaltar, und auf diesem Altar befanden sich viele Heiligenstatuen. Sie waren mit Schmuck behängt, trugen Perücken aus Totenhaar und wurden von einer

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