Im Schatten des Fürsten
Dann hörte sie schnelle Schritte und das Klirren von Stahl.
»Bleib drin!«, rief Serai. Isana sah eine dunkle Gestalt, einen Mann mit einem Schwert, der auf den Wagen zulief. Mit der Klinge stieß er nach Serai. Die Kurtisane schlug die Waffe mit der linken Hand zur Seite, wobei ihr Unterarm aufgeschlitzt wurde. Sofort begann das Blut zu spritzen. Mit der anderen Hand griff sich die Kurtisane ins Haar und packte etwas, das Isana bislang für einen edelsteinbesetzten Kamm gehalten hatte. Aber Serai zog eine schlanke, nadelspitze Klinge hervor und stach sie dem Angreifer ins Auge. Der Mann schrie auf und fiel zu Boden. Serai beugte sich vor und packte den Griff der Wagentür, um sie zu schließen.
Dann ertönte ein Sirren, ein dumpfer Schlag, und die blutige Stahlspitze eines Pfeils ragte aus Serais Rücken. Blut strömte über die zerrissene Seide ihres gelbbraunen Kleides.
»Oh«, keuchte Serai, atemlos und entsetzt.
»Serai!«, kreischte Isana.
Die Kurtisane fiel langsam vorwärts aus dem Wagen.
Isana stieg aus, um ihr zu helfen. Sie packte Serai am Arm und versuchte, sie zurück in den Wagen zu schieben, doch sie rutschte in Serais Blut aus und stolperte. Ein zweiter Pfeil zischte an ihrer Schulter vorbei und versank bis zur Fiederung im Eichenholz.
Von rechts hörte sie einen weiteren Schrei und sah Nedus, der mit dem Rücken zum Wagen stand, vor sich zwei bewaffnete Meuchler, harte Männer in graubrauner Kleidung. Ein dritter lag in seinem Blut auf dem Pflaster, während der alte Metallwirker mit dem Schwert einen Hieb parierte und dem Angreifer die Kehle aufschlitzte.
Doch durch den Hieb gab sich der alte Ritter eine Blöße, und der zweite Angreifer sprang vor und trieb Nedus die kurze, schwere Klinge in den Unterleib.
Nedus reagierte gar nicht darauf, sondern packte den Schwertarm des Mannes mit einer Hand. Statt ihn von sich zu stoßen, hielt Nedus ihn mit eisernem Griff fest und rammte ihm grimmig entschlossen sein eigenes Schwert in den Mund.
Meuchelmörder und Ritter gingen zu Boden, und das Blut breitete sich unter ihnen aus wie Wasser unter einem zerbrochenen Fass.
Entsetzt wollte Isana die Kurtisane zurück in den Wagen hieven, bevor …
Etwas drang in sie, und wie ein Blitz machte sich ein widerwärtiges Gefühl in ihrem Bauch breit. Isana blickte an sich hinunter und sah den Pfeil, der sie getroffen hatte, und zwar über dem Hüftknochen. Einen Augenblick lang starrte sie die Wunde entsetzt an; dann erst bemerkte sie den blutigen Schaft, der aus ihrem Rücken ragte.
Nun kam der Schmerz. Unerträglicher Schmerz. Eine Sekunde lang wurde ihr schwarz vor Augen, und ihr Herz donnerte in ihren Ohren. Sie sah auf Serai herab und wollte nach ihr greifen, war jedoch unsicher, was sie als Nächstes tun sollte. Immer noch war sie entschlossen, die verwundete Frau außer Reichweite der heimtückischen Pfeile zu bringen.
Serai rollte schlaff zur Seite, ihre offenen Augen starrten ins Leere. Der Pfeil hatte sie ins Herz getroffen.
Isana hörte Schritte, die auf sie zueilten. Sie sah auf, und vor Schmerz schwankte die Welt vor ihren Augen. Aus der Dunkelheit schälte sich ein Mann mit einem Bogen in der Hand.
Sie erkannte ihn. Er war kleiner als der Durchschnitt und stämmig, und er wirkte überaus zuversichtlich. Was ihm das Alter noch an Haaren gelassen hatte, war grau. Sein ebenmäßiges Gesicht erregte kaum Aufmerksamkeit, war weder hässlich noch reizvoll. Isana hatte ihn schon einmal gesehen - auf der Mauer während der schrecklichen Schlacht in Kaserna. Sie hatte beobachtet, wie er Männer mit Pfeilen niederstreckte, wie er Faede mit einer Schlinge um den Hals vom Wehrgang stieß, wie er versucht hatte, ihren Neffen zu ermorden.
Fidelias, der frühere Kursor Callidus, der die Krone verraten hatte.
Der Mann sah sich hektisch um, während er wachsam auf Isana zuging. Er zog einen Pfeil aus dem Köcher und legte die Kerbe auf die Sehne des Bogens. Kalt betrachtete er die Leichen. Dann richtete sich sein unbarmherziger Blick auf Isana.
Der Schmerz übermannte sie.
23
»Geht es nicht ein bisschen langsamer?«, beschwerte sich Max. »Bei den Elementaren, Calderon, was soll diese krähenverfluchte Hetzerei?«
Tavi blickte über die Schulter nach hinten, während er weiter durch die Straße eilte, die von der Zitadelle in die Stadt führte. Bunte Elementarlampen erhellten zum Winterend-Fest den Weg in sanftem Rosa, Gelb und Himmelblau, und trotz der späten Stunde waren die Straßen belebt.
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