Im Schatten des Fürsten
Kalare und betrachtete es mit gerunzelter Stirn. Er hatte zu viel Zeit im Palast des Ersten Fürsten verbracht, sonst hätte ihn das Bauwerk beeindruckt. Es war auf lächerliche Weise gewaltig, dachte Tavi. Bernardhof - nein, jetzt hieß es Isanahof, mahnte er sich - hätte leicht hineingepasst, und es wäre noch genug Platz für eine ordentliche Schafsweide geblieben. Das hell erleuchtete Gebäude war reich verziert und der Garten aufs Wundervollste gestaltet, aber trotzdem fühlte sich Tavi unangenehm an die Huren unten am nahen Fluss erinnert, mit ihren bemalten Gesichtern, protzigen Kleidern und dem falschen Lächeln, das nie ihre Augen erreichte.
Er holte tief Luft und machte sich mit Max auf den Weg durch die doppelte Statuenreihe, in Richtung Eingang. Vier Männer in schlichter Kleidung kamen ihm entgegen. Sie hatten harte Gesichter und wachsame Augen, und zumindest der dritte trug ein Schwert, wie Tavi an dem Griff sah, der unter dem Mantel hervorragte. Während sie auf das Haus zugingen, ließ er sie nicht aus
den Augen, und er sah, dass unten an der Straße ein gehetzt wirkender Diener mit vier gesattelten Pferden auf sie zulief.
»Hast du das gesehen?«, flüsterte Max.
Tavi nickte. »Die machten nicht den Eindruck, als wären sie zu einem Fest bei einem Fürsten eingeladen, oder?«
»Mir sehen sie eher wie Diener aus«, meinte Max.
»Diener, denen die Pferde gebracht werden?«, murmelte Tavi. »Vielleicht Stecher?«
»Könnte sein.«
Die Männer stiegen in den Sattel, und auf ein leises Wort des Anführers hin trieben sie ihre Tiere an.
»Und eilig haben sie es außerdem«, stellte Max fest.
»Vermutlich wollen sie irgendwem Winterendgrüße überbringen«, sagte Tavi.
Max schnaubte leise.
Der Türwächter trat ihnen mit erhobener Nase entgegen. »Entschuldigt, junge Herren. Dies ist kein öffentliches Fest.«
Tavi nickte. »Gewiss, Herr.« Dann hielt er seine Botentasche in die Höhe, in der er für gewöhnlich Dokumente trug, ein feines Stück aus blauem und rotem Leder, auf dem das goldene Abbild des fürstlichen Adlers prangte. »Ich bringe eine Sendung Seiner Majestät.«
Dem Türwächter kam ein wenig von seiner Arroganz abhanden. »Gewiss, Herr. Ich werde sie gern für euch weiterleiten.«
Tavi lächelte und zuckte mit den Schultern. »Das geht leider nicht«, sagte er. »Ich habe Befehl, sie persönlich zu übergeben.« Er deutete nach hinten auf Max. »Ich glaube, es muss etwas Wertvolles sein. Hauptmann Miles hat mir eine Wache mitgegeben.«
Der Torwächter sah beide stirnrunzelnd an. »Gewiss, junger Herr. Ich kann dich gern in den Garten führen, während deine Begleitung hier wartet.«
Max sagte trocken und mit Überzeugung: »Ich bleibe bei ihm. Befehle.«
Der Türwächter fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und nickte. »Ach. Ja. Hier entlang, bitte.«
Er führte sie durch den dekadenten Prunk zum Garten im Innenhof des Hauses. Tavi ging hinter dem Mann her und bemühte sich um eine gelangweilte Miene. Max folgte ihnen mit dem disziplinierten Schritt eines marschierenden Legionare .
Der Türwächter - eigentlich eher der Majordomus, nahm Tavi an - blieb am Eingang zum Garten stehen und wandte sich zu Tavi um. Bunte Lichter flackerten draußen, und man hörte Musik und das laute Rauschen vieler lebhafter Gespräche. Duft von Essen, Wein und Parfüm stieg Tavi in die Nase. »Wenn du mir nun sagst, an wen die Sendung geht, Herr, werde ich den Betreffenden herbitten.«
»Sicherlich«, sagte Tavi. »Ich würde gern mit der Wehrhöferin Isana sprechen, wenn es möglich wäre.«
Der Majordomus zögerte, und Tavi bemerkte eine gewisse Unsicherheit in seinen Augen. »Die Wehrhöferin hat uns bereits verlassen, junger Herr«, sagte der Mann. »Das ist keine Viertelstunde her.«
Tavi runzelte die Stirn und wechselte einen Blick mit Max. »Ach, tatsächlich? Weshalb denn?«
»Leider, leider kenne ich den Grund dafür nicht, junger Herr«, erwiderte der Mann.
Max nickte Tavi zu und sagte mit tiefer Stimme: »Die zweite Sendung ist für die Hohe Fürstin Placida bestimmt. Hol sie.«
Der Majordomus sah zuerst Max misstrauisch an, dann Tavi. Tavi verdrehte verschwörerisch die Augen. »Bitte, führe sie zu uns, Herr.«
Der Mann spitzte nachdenklich die Lippen und zuckte mit den Schultern. »Wie du wünschst, junger Herr. Einen Augenblick.« Damit verschwand er in den Garten.
»Fürstin Placida?«, murmelte Tavi.
»Ich kenne sie«, antwortete Max. »Sie wird wissen, was vor
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