Im Schatten des Fürsten
»Ich weiß zwar nicht genau was es ist, aber ich bin mir ganz sicher, dass irgendetwas nicht stimmt.«
Max seufzte und lief ein paar Schritte in lockerem Trab, bis er zu Tavi aufgeschlossen hatte. »Woher weißt du das? Was stand in dem Brief?«
Tavi schüttelte den Kopf. »Ach, nur das Übliche. Wie es mir so gehe, ein paar Geschichten von zu Hause, und dass sie im Hause einen Mannes namens Nedus in der Gartengasse wohnt.«
»Oh«, meinte Max. »Jetzt verstehe ich deine Panik. Das rechtfertigt es natürlich, Killian zu versetzen und möglicherweise die Sicherheit der Krone zu gefährden.«
Tavi starrte Max böse an. »Es waren die Einzelheiten, die haben nicht gestimmt. Meinen Onkel hat sie Bernhardt genannt, er heißt aber Bernard. Und meine kleine Schwester mache gute Fortschritte beim Lesen. Ich habe bloß gar keine Schwester. Irgendetwas stimmt da nicht - nur wollte sie es mir nicht in dem Brief mitteilen.«
Max runzelte die Stirn. »Ist der Brief bestimmt echt? Ich wüsste da ein paar Leute, die es durchaus darauf anlegen könnten, dich mitten in der Nacht in eine dunkle Gasse zu locken.«
»Es ist ihre Schrift«, meinte Tavi. »Da bin ich mir sicher.«
Eine Weile ging Max schweigend neben ihm. »Weißt du was? Ich denke, du solltest sie besuchen und herausfinden, was los ist.«
»Ach, das denkst du?«
Max nickte ernst. »Ja. Am besten nimmst du jemanden mit, der groß und stark und bedrohlich ist, nur so zur Vorsicht.«
»Keine schlechte Idee«, sagte Tavi. Die beiden bogen in die Gartengasse ein. »Wie erkenne ich jetzt das Haus von Nedus?«
»Ich war schon einmal da«, verriet Max.
»Wohnt dort eine junge Witwe?«, fragte Tavi.
Max schnaubte. »Nein. Aber Ritter Nedus war der beste Schwertkämpfer seiner Generation. Er hat viele der ganz Großen ausgebildet. Princeps Septimus, Araris Valerian, Hauptmann Miles von der Kronlegion, Aldrick ex Gladius, Lartos und Martos von Parcia und Dutzende anderer.«
»Hast du bei ihm Unterricht gehabt?«, erkundigte sich Tavi.
Max nickte. »Ja, im ersten Jahr. Ein kräftiger Mann. Noch immer ein guter Schwertarm, und dabei müsste er schon an die achtzig Jahre alt sein. Der beste Lehrer, den ich je hatte, meinen Vater eingeschlossen.«
»Gehst du noch zu ihm?«
»Nein«, sagte Max.
»Warum nicht?«
Max zuckte mit den Schultern. »Er meinte, im Übungssaal könnte er mir nichts mehr beibringen. Den Rest müsste ich draußen in der Welt lernen.«
Tavi nickte und biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. »Wie steht er denn zur Krone?«
»Er ist dem Hause Gaius und dem Amt des Ersten Fürsten absolut treu ergeben. Aber wenn du mich fragst, kann er Gaius persönlich nicht leiden.«
»Warum nicht?«
Max zuckte erneut mit den Schultern, sagte jedoch voller Überzeugung: »Irgendetwas muss zwischen ihnen vorgefallen
sein; ich kenne aber die Einzelheiten nicht. Dennoch, er würde niemals Hochverrat begehen. Er ist verlässlich.« Max deutete mit dem Kopf auf eines der Häuser, ein sehr schönes und durchaus großes Gebäude, das dennoch im Vergleich mit den Nachbarn eher klein wirkte. »Hier ist es.«
An der Tür teilte man ihnen mit, Ritter Nedus und seine Gäste seien bereits ausgegangen. Tavi zeigte dem Türwächter den Brief seiner Tante, und der Mann nickte und kehrte mit einem zweiten Umschlag zurück, den er Tavi reichte.
Tavi nahm ihn und las den Brief, während er zurück zur Straße schlenderte. »Sie ist … oh, große Elementare, Max. Sie ist beim Gartenfest von Fürst Kalare.«
Max zog die Augenbrauen hoch. »Wirklich? Nach allem, was du mir erzählt hast, erschien sie mir kaum als Freundin solcher gesellschaftlichen Anlässe.«
»Ist sie auch nicht«, sagte Tavi und runzelte die Stirn.
»Ich wette, die Dianische Liga wird über sie herfallen wie ein Schwarm phrygischer Hechte.« Max nahm den Brief und las ihn. »Sie schreibt, sie hoffe, Gelegenheit zu bekommen, mit einem der Hohen Fürsten den Palast zu besuchen.« Max kniff die Augen zusammen. »Aber die Hohen Fürsten sind während Winterend eigentlich nur für ihr Treffen mit dem Ersten Fürsten im Palast.«
»Sie will zu Gaius«, sagte Tavi leise. »Aber sie kann nicht einfach hingehen und es laut sagen, weil sie Angst hat, nicht vorgelassen zu werden. Deshalb hat sie auch versucht, mich zu erreichen. Damit ich sie zu Gaius führe.«
»Nun, da stehen ihre Chancen im Augenblick eher schlecht«, meinte Max ruhig.
»Ich weiß«, sagte Tavi. »Das ist ja das
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