Im Schatten des Fürsten
sagte Tavi.
»Du musst aber«, zischte Killian. »Spion. Kalare …« Er sank auf den Boden zurück, und sein Atem beschleunigte sich, als wäre er gelaufen. »H-hier«, keuchte er. »Kalare. Sein Meistermeuchler. Du m…«
Plötzlich riss Killian die blinden Augen auf, und sein Körper bäumte sich auf. Er öffnete den Mund, als wollte er schreien, brachte jedoch keinen Laut heraus - und holte auch nicht mehr Luft. Sein Gesicht nahm einen purpurfarbenen Ton an, seine Arme zuckten heftig, und die Finger wollten sich in den Boden krallen.
»Maestro«, sagte Tavi leise. Seine Stimme brach mitten im Wort. Er nahm eine von Killians runzligen Händen, und der alte Mann umklammerte Tavis Finger mit beängstigender Kraft. Kurz darauf entspannte sich der verkrampfte Leib und sank in sich zusammen wie ein löchriger Weinschlauch. Tavi hielt mit der Rechten die Hand des Maestros und fühlte mit der Linken auf der Brust den flatternden Puls.
Der langsamer wurde.
Und schließlich zum Stillstand kam.
Tavi legte Killians Hand sanft ab. In seinem Herzen rangen
Enttäuschung und Schmerz miteinander. Gemischt mit Hilflosigkeit. Er hatte mit angesehen, wie der alte Mann gestorben war, und er hatte nichts tun können, um ihm zu helfen.
Endlich wandte er sich ab und ging zu Kitai. Sie lag halb zusammengerollt auf der Seite. Die Augen hatte sie geschlossen, und sie atmete hastig und rasselnd. Er legte ihr die Hand auf den Rücken und spürte das Klopfen ihres Herzens. Was sollte er tun? Sie hatte mehr Bisse abbekommen als der Maestro, war aber viel jünger und vorher nicht verletzt gewesen. Wenn er nur wie Tante Isana über Wasserkräfte verfügt hätte. Dann wäre er in der Lage gewesen, Kitai zu helfen. Er hätte nicht einmal so stark sein müssen wie die Tante, sondern nur so gut, dass er sie am Leben halten könnte, bis Hilfe eintraf. Und es wäre nur eine klitzekleine Begabung fürs Wasserwirken nötig gewesen, um Killian ein wenig Wasser zu verschaffen.
Aber nicht einmal die besaß er.
Nie zuvor hatte sich Tavi so nutzlos gefühlt. Nie zuvor so machtlos. Er hielt Kitais Hand und blieb bei ihr. Er hatte ihr versprochen, sie nicht allein zu lassen. Zumindest würde er bis zum Ende bei ihr bleiben, gleichgültig welche Qualen es ihm bereiten würde, sie sterben zu sehen. Immerhin das konnte er für sie tun.
Und dann wurde die Tür zur Meditationskammer aus den Angeln gerissen und schlug flach auf den Steinboden.
Tavi fuhr hoch. War die Wache endlich eingetroffen?
Der besessene Cane trat auf die liegende Tür und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Der Eindringling war verwundet, Blut glänzte auf dem Pelz der Brust und am Oberschenkel. Ein Ohr fehlte vollständig, und an der Schnauze klaffte ein Schnitt im Fleisch, der so tief ging, dass man den Knochen sehen konnte. Außerdem hatte der Cane eines der blutroten Augen eingebüßt.
Trotzdem bewegte er sich, als würde er keinen Schmerz verspüren. Der Blick ruhte zunächst auf Max, dann wanderte er weiter
zu Gaius. Einen Augenblick lang sah der Cane zwischen den beiden hin und her, ehe er auf Max zuschritt.
Tavi hatte das Gefühl, sein Herz würde vor Entsetzen zerspringen, und einen Moment lang befürchtete er, in Ohnmacht zu fallen. Die Canim waren an Faede und an Miles vorbeigelangt. Demnach waren die beiden aller Wahrscheinlichkeit nach tot. Und das bedeutete, dass die Wache noch längst nicht in der Nähe war, um sie zu retten.
Er war ganz auf sich allein gestellt.
54
Tavi sah zu Kitai. Zu Max. Zu Gaius.
Der Cane bewegte sich geschmeidig wie ein tödliches Raubtier. Er war so viel größer, stärker und schneller. Tavi hatte kaum eine Chance, diesen Kampf zu überleben, das war ihm klar.
Aber wenn man den Cane nicht aufhielt, würde er die hilflosen Menschen in der Meditationskammer töten. Tavi konnte sich das Gemetzel lebhaft vorstellen. Er würde Max die Kehle herausreißen, also wäre seine Leiche wegen des Blutverlusts ganz grau. Gaius: Gedärme, die aus dem aufgeschlitzten Bauch quollen. Und Kitai? Ihr Kopf würde ein Stück vom Rest ihres Körpers entfernt liegen, abgeschlagen von der gekrümmten Klinge des Cane.
Tavis Furcht löste sich in nichts auf.
Was blieb, war brennender Zorn.
Er ließ Kitais Hand los. Seine Finger schlossen sich stattdessen fest um den Griff des Schwertes, das dem Ersten Fürsten
gehörte. Er erhob sich und spürte, wie sich sein Mund zu einem streitlustigen Grinsen verzog. Nun nahm er die Waffe zur Deckung hoch und
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