Im Schatten des Fürsten
dass man dich deiner Stellung entsprechend behandelt. Falls es dir an irgendetwas mangeln sollte, so wende dich bitte an die Diener.«
Kitai lächelte und sagte: »Ich habe mein eigenes Becken, im Boden. Man kann es mit heißem oder kaltem Wasser füllen, und es gibt alle möglichen Düfte und Seifen und Öle. Sie haben mir Essen gebracht, und mein Bett ist so groß, dass ein Gargant darin seine Jungen werfen könnte.« Sie hob das Kinn und zeigte auf die Kette. »Siehst du?«
Tavi sah diese weiße und sehr feine Haut - und ja, die Kette war auch recht hübsch.
»Hätte ich das geahnt, hätte ich gleich darum gebeten, Botschafter zu werden.«
Tavi hustete. »Ja … hm. Ich meine, gewiss bist du eine Botschafterin, wenn der Erste Fürst das sagt, aber doch nur aus reiner Freundlichkeit, Kitai.«
»Du darfst deine Meinung für dich behalten, Botenjunge«, erwiderte Kitai ungnädig. »Lies weiter.«
Tavi warf ihr einen Blick zu und fuhr dann fort zu lesen: »Dürfte ich einen Vorschlag äußern? Um deine Pflichten in Alera besser kennen zu lernen, wäre es sicherlich hilfreich, wenn du dir die Mühe machst, lesen und schreiben zu lernen. Diese Fähigkeiten werden dir über kurz oder lang zum Vorteil gereichen. Außerdem
bietet sich dir so die Möglichkeit, deine Erlebnisse und dein Wissen aufzuzeichnen, um es an dein Volk weiterzureichen. Zu diesem Zweck stelle ich dir den Überbringer dieses Briefes zur Verfügung. Seine einzige Pflicht wird in den folgenden Wochen darin bestehen, dir den Umgang mit Worten so gut beizubringen, wie er kann. Willkommen in Alera Imperia, Botschafterin, ich freue mich schon auf unsere zukünftigen Unterhaltungen. Gezeichnet Gaius Sextus, Erster Fürst von Alera.«
»Zu meiner Verfügung«, wiederholte sie. »Ha. Das gefällt mir. Jetzt kann ich alles mit dir machen. Dein Häuptling hat es gesagt.«
»Ich glaube, das hat er damit nicht gemeint …«
»Schweig, Botenjunge!«, sagte sie, und ihre grünen Augen funkelten böse. »Es gibt doch Pferde hier, oder?«
»Nun, ja. Aber …«
»Dann bring mich zu ihnen, und wir reiten aus«, sagte sie, immer noch lächelnd.
Tavi seufzte. »Kitai … morgen vielleicht? Ich muss erst einmal nach Max sehen. Und ich möchte meine Tante treffen. Wir essen heute Abend zusammen.«
»Natürlich«, antwortete sie sofort. »Wichtige Dinge haben Vorrang.«
»Danke«, sagte er.
Sie verneigte sich leicht. »Und du, Aleraner. Ich habe gesehen, wie du gegen den Cane gekämpft hast. Sehr gut. Und sehr klug.«
Daraufhin trat sie vor ihn, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf den Mund.
Tavi blinzelte vor Überraschung, und für eine Sekunde stand er wie erstarrt. Dann hob sie ihre Arme, schloss sie um seinen Hals, zog seinen Kopf zu sich heran, und die ganze Welt um sie herum war vergessen. Nur ihr Mund und ihre Arme und ihr Duft und ihre Wärme zählten noch. Als sie sich einige Zeit später wieder voneinander lösten, hatte Tavi weiche Knie. Kitai sah ihn zufrieden an. »Gut gemacht. Für einen Aleraner.«
»D-danke«, stammelte Tavi.
»Zu meiner Verfügung«, sagte sie zufrieden. »Das verspricht ja, ein sehr nettes Frühjahr zu werden.«
»Äh«, meinte Tavi, »w-wie?«
Sie schnaubte, halb vor Ungeduld, halb vor Entrüstung. »Wann hörst du endlich auf zu reden, Aleraner?«, knurrte sie leise, kehlig, küsste ihn erneut und zog ihn zu sich hinein ins Zimmer, bis Tavi die Tür hinter sich zustoßen konnte.
56
Amara stand bei Bernard, während sich die Legionares , die den Kampf überlebt hatten, mit Blickrichtung zum Hügel vor dem Schlachtfeld in ordentlichen Reihen aufstellten.
Die Söldner und ihr Befehlshaber waren wieder aufgebrochen, sobald die Heiler ihre Arbeit erledigt hatten. Noch ehe der Tag vorüber war, trafen zweihundert Ritter ein, die dem Ersten Fürsten unterstellt waren, und am nächsten Morgen kam außerdem nach einem Gewaltmarsch Verstärkung aus Rivas Zweiter Legion an, um die Sicherheit von Kaserna und dem Tal zu gewährleisten. Sie brachten die Nachricht von einem kleinen Wunder mit. Der Heiler Harger hatte bei dem Überraschungsangriff der Vord auf die Verwundeten auf Aric-Hof einen kühlen Kopf bewahrt, und trotz seiner Verletzung hatte er die Kinder, die den ersten Überfall auf den Wehrhof überlebt hatten, von dem unheilvollen Ort fortgebracht. Das war angesichts der vielen Toten ein kleiner Trost, für den Amara sehr dankbar war.
Bernard hatte es zwar nicht mit einem Befehl verlangt, doch
seine
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