Im Schatten des Fürsten
Der Junge holte tief Luft und betrat den Raum.
Als er die Schwelle überschritt, traf ein Windzug die Kerze und löschte die Flamme.
Tavi stand in völliger Finsternis. Rechts und links von ihm knurrte jeweils ein Cane, und plötzlich begriff Tavi, wie wehrlos er ihnen ausgeliefert war und wie eigenartig es in diesem Raum nach Moschus und Fleisch roch - nach Raubtieren.
Es dauerte einen Moment, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, aber dann konnte er im trüben scharlachroten Licht zwischen den schwarzen Schatten Einzelheiten ausmachen. In der Mitte des Raums glühten Kohlen schwach in einer Mulde, und um die Glut herum lagen schwere Kissen aus einem Material, das er nicht genau erkennen konnte. Der Raum war wie eine umgestülpte Schüssel geformt, die Wände wölbten sich zu einer hohen, unerreichbaren Decke. Mehrere Fuß weiter hinten im Schatten meinte Tavi zwei weitere Wachen zu erkennen,
doch dann sah er, dass es sich um Gestelle handelte, auf denen Rüstungen abgelegt werden konnten. Diese waren größer und breiter als jene, welche die Legionares verwendeten. Auf einem der Gestelle sah Tavi die eigenartigen Umrisse einer canischen Rüstung, während das andere leer war.
Vom hinteren Bereich des Raums her hörte Tavi das Plätschern von Wasser, und im schwachen roten Schein sah er ein Becken, dessen Oberfläche sich in regelmäßigen Abständen kräuselte.
Seinem Instinkt folgend drehte sich Tavi um und wandte sich einer Gestalt zu, die fast genau hinter ihm stand.
»Botschafter«, sagte er respektvoll. »Ich habe dir einen Brief zu überbringen, Herr.«
Wieder dröhnte ein tiefes Knurren durch den Raum, seltsam verzerrt durch die Form der Wände oder die Art des Steins, und es klang, als käme es aus mehreren Quellen gleichzeitig. Zwei Fuß über Tavis Kopf glühten zwei Augen, und dann schob sich Varg aus dem Dunkel in das blutrote Licht.
»Gut«, sagte der Cane, der immer noch Mantel und Rüstung trug. »Du hast deinen Instinkt unter Kontrolle. Deine Art lässt sich häufig entweder davon überwältigen, oder sie beachtet ihn gar nicht.«
Tavi hatte keine Ahnung, wie er darauf antworten sollte, daher reichte er Varg einfach den Umschlag. »Danke, Exzellenz.«
Varg nahm den Umschlag entgegen und schlitzte das Papier mit der Kralle auf. Er faltete den Brief auf, überflog ihn und knurrte abermals. »So. Man schenkt meinem Anliegen also keinerlei Aufmerksamkeit.«
Tavi betrachtete ihn ausdruckslos. »Ich überbringe die Botschaften nur, Herr.«
»Ja?«, meinte Varg. »Dann werdet ihr das Ganze eben selbst ausbaden müssen.«
»Mein Herr«, knurrte eine höhere Stimme von der Tür her. »Sie erweisen dir und unserem Volk keinerlei Respekt. Wir sollten diesen Ort verlassen und in die Blutlande zurückkehren.«
Tavi und Varg wandten sich um in die Richtung des Sprechers, und Tavi sah einen Cane, den er nicht kannte. Er trug keine Rüstung, dafür aber eine lange, scharlachrote Robe. Die pfotenartigen Hände waren viel dürrer als Vargs, und das rötliche Fell wirkte ausgedünnt und kränklich. Die Schnauze war schmal und spitz, und die Zunge hing ihm an der Seite heraus und bewegte sich nervös hin und her.
»Sarl«, knurrte Varg. »Ich habe dich nicht rufen lassen.«
Der zweite Cane zog die Kapuze zurück und legte den Kopf zur Seite, eine Geste, die Tavi plötzlich begriff. Der Cane bot Varg die Kehle dar - und brachte damit seinen Respekt zum Ausdruck. Es war eine Geste der Unterwerfung.
»Verzeih, hoher Herr«, sagte Sarl. »Ich bin nur gekommen, um dir mitzuteilen, dass wir eine Nachricht erhalten haben, der zufolge die Wachablösung in zwei Tagen eintrifft.«
Tavi schob die Lippen vor. Außer Varg hatte er noch keinen Canim aleranisch sprechen hören. Es war gewiss kein Zufall, dass Sarl nun eine Sprache wählte, die Tavi verstehen konnte.
»Sehr gut, Sarl«, knurrte Varg. »Hinaus.«
»Wie du wünschst, Herr«, erwiderte Sarl, entblößte abermals die Kehle und verneigte sich tief. Der Cane zog sich rückwärts in den Gang zurück.
»Mein Sekretär«, sagte Varg. Es war schwer mit Sicherheit zu sagen, doch Tavi schätzte den Ton des Gesandten irgendwo zwischen nachdenklich und belustigt ein. »Er kümmert sich um die Angelegenheiten, von denen er annimmt, sie seien unter meiner Würde.«
»Das kommt mir bekannt vor«, antwortete Tavi.
Varg ließ die Zunge heraushängen und zeigte die Zähne. »Ja. Möchte ich meinen. Das war alles, Welpe.«
Tavi wollte sich gerade
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