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Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)

Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)

Titel: Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Rath
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etwas anderes, was niemand im Kontor trug. Eine Taschenuhr, die an einer dicken Kette vor seinem Bauch hing.
    Michael Weinhold war zuerst von der Idee begeistert, doch dann lehnte er auch diesen Vorschlag ab. »Eine Uhr ist zu teuer. Ich bin schon fast einen Monat an Land, da ist viel Geld für Unterkunft und Verpflegung draufgegangen. Und auch für die Prüfungsvorbereitung beim Privatlehrer Fahje. Schließlich noch die Prüfungskosten und die Stempelgebühr für das Patent.«
    »Vielleicht finden wir eine Gebrauchte«, schlug Moritz vor.
    Damit war der Steuermann einverstanden.
    Sie streiften durch die Trödelläden an den Vorsetzen. Kein Erfolg. Doch Michael Weinhold wollte von dem einmal gefassten Plan nicht lassen. Systematisch durchkämmten sie die Gänge und Höfe der Neustadt.
    Moritz beschlich ein beklemmendes Gefühl. Diese Gegend erinnerte ihn stark an seinen nächtlichen Ausflug. Allerdings war er sich nicht ganz sicher, denn bei Tageslicht sah es hier viel harmloser aus als in der Dunkelheit. Jedenfalls hoffte er inständig, dass er dem Dicken mit den Hosenträgern nicht begegnete. Obwohl: An der Seite dieses kräftigen Steuermanns hatte er sicherlich nichts zu befürchten. Die Frau, die da in Unterwäsche im Hof gestanden hatte, würde er sich allerdings ganz gern einmal bei Tageslicht ansehen.
    Ob Madame auch so eine dünne Wäsche trägt?, fragte er sich. Nein, ganz bestimmt nicht, wer so streng blickt, trägt wahrscheinlich dicke, kratzende Hosen, die von den Knien bis unter die Arme reichen. Das war bei Cäcilie sicherlich etwas ganz anderes. Die trug solche Wäsche bestimmt jetzt schon. Und wenn nicht, dann auf jeden Fall, wenn sie erwachsen war. Bei Jette brauchte er erst gar nicht zu überlegen. Die würde sich so etwas wahrscheinlich nie leisten können, und außerdem würde sie solche Wäsche striktablehnen. Moritz war sich ziemlich sicher, was Jette sagen würde. Ich bin doch kein käufliches Mädchen, würde sie sagen.
    Obwohl sie schon mehr als ein halbes Dutzend Trödlerläden durchgesucht hatten, fanden sie nichts außer einer abgegriffenen Uhr ohne Zeiger.
    »Eine kaputte Uhr tut es auch«, sagte Moritz. »Man sieht es ihr doch von außen nicht an, dass sie nicht mehr geht.«
    Der Steuermann blickte beleidigt. »Und wie stehe ich da, wenn mich der Kapitän nach der Uhrzeit fragt?«
    Schließlich landeten sie bei einem Trödler ganz hinten in einem jener engen Gänge, in den sie nur durch Zufall geraten waren und bei dem sie sich nicht sicher sein konnten, ob sie jemals wieder hinausfinden würden. Vor dem Laden waren Bettgestelle, wacklige Tische und beschädigte Stühle aufgetürmt. An den Wänden im Laden stapelten sich zerbeulte Eimer, Wannen und anderer Hausrat. Keine Spur von einer Taschenuhr.
    »Lass uns gehen«, sagte der Steuermann resigniert.
    Moritz hörte nicht auf ihn, denn er hatte auf dem Arbeitstisch des Trödlers zwischen Blechgeschirr und verbogenen Gabeln etwas entdeckt. »Eine Uhr.«
    Der dicke Trödler, der die beiden mit seinen flinken Augen misstrauisch beobachtet hatte, legte seine Hand auf die Uhr. »Die ist unverkäuflich«, sagte er schroff.
    Der Steuermann trat an den Arbeitstisch, nahm ohne die geringste Anstrengung die Hand des Trödlers hoch und griff nach der Taschenuhr. Er betrachtete sie interessiert von allen Seiten. »Die gefällt mir. Was soll sie kosten?«
    »Ich habe sie bereits einem anderen Kunden versprochen.«
    Der Trödler versuchte, dem Steuermann die Uhr zu entwinden, doch Michael Weinhold schüttelte den Mann ab wie ein lästiges Insekt. »Was will der andere Kunde dafür zahlen?«
    Der Trödler nannte eine astronomisch hohe Summe. Der Steuermann wog die Uhr in der Hand, ließ dann den Deckelaufschnappen. Moritz sah ein weißes Zifferblatt, umrahmt von feinen, goldenen Zahlen, die Zeiger waren mit kunstvollen Ornamenten versehen. Zweifellos ein Kunstwerk, aber das Glas war mehrfach gesprungen.
    »Das Glas ist kaputt«, sagte Michael Weinhold enttäuscht. »Damit kann ich nicht an Bord gehen.«
    »Gläser kann man ersetzen«, gab Moritz zu bedenken.
    Der Trödler war plötzlich sehr interessiert. »Sind Sie Kapitän?«
    »Mein Schiff läuft morgen aus«, sagte der Steuermann zu Moritz, »ich kann nicht warten, bis die Uhr repariert ist.«
    »Wie lange werden Sie unterwegs sein?«, fragte der Trödler.
    Der Steuermann legte die Uhr zurück. »Ein Jahr oder länger.«
    »Ich bin früher selbst zur See gefahren. Es ist mir eine Ehre, einen

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