Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
Gehrocks. Er war sich nicht sicher, ob er die Befragung gut überstehen würde.
»Ist sie sauber und ordentlich?«
Er überlegte. »Ich habe sie noch nie schmutzig gesehen. Aber was heißt ordentlich?«
»Nun, ist sie schlampig gekleidet? Oder hat sie Löcher in den Strümpfen?«
»Nein, nicht schlampig. Und Löcher hat sie auch nicht in den Strümpfen. Sie trägt nämlich keine.«
»Ist sie gottesfürchtig?«
Moritz schluckte. Er hatte die Familie Jacobsen noch nie in der Kirche gesehen. Doch was hatte das zu bedeuten, es gab ja noch andere Gotteshäuser als St. Katharinen.
»Ich glaube, dass die Familie gläubig ist«, sagte er und dachte bei sich, dass er damit wohl nichts falsch machen konnte.
Madame beugte sich zu ihm hin, ihre Stimme nahm einen vertraulichen Ton an. Er versuchte, noch weiter wegzurücken, doch das ging nicht. Gleich wird sie mich fragen, ob Jette klaut, dachte er.
»Bedienstete müssen absolut vertrauenswürdig sein, Moritz. Sie hören viele Dinge, die nicht für andere Ohren bestimmt sind. Sie müssen verschwiegen sein, sie dürfen nicht tratschen. Niemand möchte ein Hausmädchen, das sein Herz auf der Zunge trägt.«
»Ich finde eher, dass Jette zu wenig sagt.«
Madame nickte zufrieden. Dann schoss sie ihre nächste Frage ab: »Was hat sie für eine Figur?«
»Figur?«
Moritz bemühte sich um einen möglichst dummen Gesichtsausdruck. Doch er war nicht dumm, er wusste genau, worauf die Frage zielte. Üppig geformte Mädchen wurden nicht gerne eingestellt, denn die Hausherrinnen achteten sehr darauf, dass ihre Männer und Söhne nicht allzu nervös oder gar abtrünnig wurden.
Madame deutete mit den Händen eine ausladende Oberweite und dralle Hüften an.
»Ich weiß nicht«, sagte Moritz zögernd, »mein Bruder Jan meint, sie sei viel zu dünn und zu knochig und nichts an ihr würde zusammenpassen.«
Madame nickte wieder. In Gedanken entschuldigte sich Moritz tausendmal bei Jette. Er hoffte, dass damit diese hochnotpeinliche Befragung ein Ende hätte, doch Madame war noch nicht ganz zufriedengestellt.
»Warum setzt du dich so stark für dieses Mädchen ein? Seid ihr verwandt?«
»Nein, ich bin … wie soll ich sagen? Unsere Familien sind freundschaftlich verbunden.« Schnell kreuzte er hinter dem Rücken Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand ob dieser Lüge. »Jettes Vater hat gesagt, dass sie vielleicht nach Altona zu denDänen oder ins Hannoversche gehen muss, um eine Stelle zu bekommen.«
Madame richtete sich abrupt auf, zwischen ihren sorgfältig gezupften Augenbrauen bildete sich eine steile Falte. Sie schnaubte empört. »Wir sind freie Bürger einer freien Reichsstadt, wir dienen nicht unter Königen. Ich werde dafür sorgen, dass sie hier in der Stadt eine Stelle bekommt.«
An diesem Abend machte sich Moritz beschwingt auf den Heimweg, ungeachtet der Gefahr, die vielleicht irgendwo lauerte. Er pfiff ein Lied. Ich werde Jette auch ein Liebeslied vorspielen, dachte er, und zwar auf meinem Kamm. Da er jedoch kein Liebeslied kannte, musste er warten, bis Cäcilie dieses Eliselied eingeübt hatte.
Gerade als er in den Hof einbog, hörte er auf der Twiete schlurfende Schritte, das Rumpeln von Rädern und das Geschrei vieler Kinderstimmen. Jette zog einen Handwagen mit nasser Wäsche, dahinter lärmten ihre Geschwister. Die Jungen zogen die Mädchen so lange an den Zöpfen, bis sie weinten. Jette sah erschöpft aus, alt und grau im Gesicht. Moritz deutete auf die Treppe von Stehr. Sie schüttelte müde den Kopf.
24
Zwei Tage nach den Ereignissen im Gängeviertel musste Moritz wieder eine Depesche ins Kontor am Steinhöft bringen. Die Tür stand offen, doch der Kapitän war nicht anwesend. Im hinteren Teil des Büros arbeitete Hinrich Quast. Er funkelte Moritz über sein Werkstück hinweg böse an. Der fühlte sich unwohl unter diesem scharfäugigen Blick, war sich jedoch keiner Schuld bewusst.
»Das Stehpult ist ja fast fertig«, sagte Moritz, um die angespannte Stimmung aufzulockern.
»Fast fertig, fast fertig«, äffte der Schiffszimmermann ihn nach, »nichts ist fertig.«
»Es sieht doch genauso aus wie die Stehpulte in der Großen Reichenstraße.«
Hinrich Quast grummelte vor sich hin. »Hier muss noch ein Zapfen eingepasst werden. Aber mit einer solchen Krücke von Messer geht es überhaupt nicht.«
»Das ist das falsche Messer«, erklärte Moritz. »Sie haben doch noch ein anderes. Das scharfe Finnmesser.«
»Das ist weg. Ich muss es irgendwo liegen
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