Im Schatten des Kreml
diskutieren aufgeregt, erst untereinander, dann mit den anderen. Abreg schaut in die Ferne. Die Auseinandersetzung hätte genauso gut zehn Kilometer weiter weg stattfinden können.
Als der Ausgang klar scheint, kippt die Stimmung. Ich weiß nicht, wie Abregs Bann gebrochen wurde, aber plötzlich lassen alle die Hände sinken und treten beiseite. Der Bärtige wirbelt die Fackel über seinem Kopf und schleudert sie in Richtung der Grube, wo sie kurz in der Luft hängt und dann hinabfällt. Mit einem großen Wumm schießt eine Flammenwand in den Himmel, ein mehr als fünf Meter hohes Prasseln, von dessen Spitze schwarzer Rauch spiralenförmig aufsteigt. Inmitten des tosenden Infernos ist immer noch das animalische Brüllen der brennenden Männer zu hören.
Der Rotschimmel weicht vor dem Feuer zurück, und ich drücke ihn mit den Knien herum, sodass die Hitze meinen Rücken trifft. Abreg hat dasselbe mit seinem Fuchs gemacht. Sein Mund ist leicht geöffnet, als versuche er, möglichst viel Luft zu bekommen. Hinter uns rufen einer der Zwillinge und noch jemand etwas in einem höhnischen Ton. Abreg blickt kurz zu mir herüber und dann wieder zu Boden.
Während das Feuer weiter knistert, steigt der Bärtige auf sein Pferd und kommt auf uns zu. Als er mich anschaut, spiegelt sich der irre Tanz der orangeroten Flammen in seinen Augen, und ich sehe ihm an, dass er glaubt, mein Platz sei eigentlich bei den anderen in der Grube. Er richtet den Lauf seiner Kalaschnikow auf meinen Bauch, fixiert mich und feuert eine Salve in den Himmel, während er sein Pferd in einem engen Kreis herumtänzeln lässt. Gleich darauf brechen seine Männer in ein triumphierendes Gewehrfeuer aus.
»Vielleicht kann ich dich diesmal nicht retten, Volkovoj«, sagt Abreg.
51
Als wir zurück in Abregs von Eis umhüllte Hütte aus Holz und Blech kommen, bin ich so durchgefroren, dass mein ganzer Körper unkontrolliert zittert. Der Ritt zurück kam mir noch länger vor als der Hinweg. Bei jedem Halt fragte ich mich, ob es mein letzter sei. Das Schlimmste war, als Abreg und der bärtige Wahhabit sich einmal vom Weg entfernten und ich von Weitem ihre wütenden Stimmen hörte. Beide kamen angespannt wieder. Abreg blieb den Rest des Rittes über in meiner Nähe, die Hand auf dem Gewehrschaft, aber er sagte nichts. Der ganze Trip hat ungefähr einen Tag gedauert, und als wir abladen, ist es wieder Abend. Meine Hände sind noch gefesselt. In zwei Fingern meiner Linken habe ich kein Gefühl mehr.
Abreg wechselt einige schroffe Worte mit dem Vater der Zwillinge und beide zeigen in meine Richtung. Ich hinke hinter die Hütte und lehne mich unter den wachsamen Blicken des narbengesichtigen Jungen gegen einen zersplitterten grauen Balken. Abreg beendet seine Auseinandersetzung und gibt mir ein Zeichen, ihm hineinzufolgen, wo immer noch derselbe warme Dunst von Weihrauch, Feuerqualm und Hammel herrscht.
Um den Tisch herum sitzen jetzt andere Männer. Sie sehen mich feindselig an, als Abreg mich an den golden und silbern glänzenden Flaschen vorbei und durch den fellverhangenen Eingang auf die Veranda führt. Der Junge postiert sich hinter mir. Durch einen halben Meter langen Riss, wo sich das Dach vom Rest der Hütte gelöst hat, ist ein Streifen Nachthimmel zu erkennen, klar und kalt und mit Lichtern gesprenkelt, von denen eines, ein Satellit, sich langsam wie eine Sternschnuppe zwischen den anderen hindurchschiebt.
»Ich glaube, das ist das letzte Mal, dass wir uns sehen, Volkovoj«, sagt Abreg. Er hat mir seinen Buckel zugewandt, sodass ich ihm nicht ins Gesicht schauen kann.
»Warum hast du mich hierhergebracht?«
»Ich weiß es nicht mehr. Anfangs wollte ich dich töten. Dann dachte ich, vielleicht auch nicht, vielleicht kann ich diesmal endlich meinem Feind in die Augen sehen und etwas ... etwas mitnehmen, etwas, das mir hilft zu verstehen.« Er schüttelt abrupt den Kopf. »Es war dumm von mir, das zu erwarten.«
In der Ferne höre ich ein würgendes Husten und dann ein tiefes Rumpeln, ein kalter Motor, der anspringt und sich warm läuft. Abregs Stock klappert auf dem Holz, als er gebeugt die Stufen hinabsteigt und über die verzogenen Planken vor der Hütte humpelt. Als er sich nach mir umdreht, ist sein Gesicht verzerrt von den Schmerzen, die ihm jeder einzelne Schritt bereitet.
»Das Mädchen, nach dem du gefragt hast, Galina. Sie ist bei Khanzad. Er hat uns Semerko gegeben, aber sie hat er behalten. Er glaubt, sie würde gutes Geld bringen,
Weitere Kostenlose Bücher