Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten des Kreml

Im Schatten des Kreml

Titel: Im Schatten des Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
Rebellen, die versuchten, eine Gegenwehr aufzustellen.
    Dann, wie die Erinnerung an einen früheren Traum, brüllten harte Stimmen etwas auf Russisch, und das vertraute Kriegsgeschrei meiner Landsleute erklang. Silhouetten flackerten vor einer Kulisse lodernder Flammen. Schlachtrufe und stotterndes Geschützfeuer vermischten sich mit dem Pochen des Blutes in meinen Ohren.
    Die Leuchtkugeln erstarben zischend im Schnee. Rote und grüne Spuren teilten den Himmel über mir in geometrische Muster, unterbrochen von körperlosen Schatten, die rannten, schrien und fielen, als hätte man ihnen den Boden unter den Füßen weggezogen. Wieder erschütterte eine Explosion die Erde. Ich legte mich zurück, all die wirren Bilder verblassten, und mein Hirn schaltete sich allmählich aus.
    Eine Gestalt erhob sich aus der Dunkelheit. Sie trug einen perlmuttfarbenen Mantel, der im Wind flatterte, mein Blickfeld ausfüllte und über mir schwebte wie ein weißer Vogel vor einem schrecklichen schwarzen Himmel. Erneut zerfloss die Dunkelheit im grellen Schein einer Leuchtrakete. Ich schloss die Augen vor dem schmerzhaften Licht, und als ich sie öffnete, zeichnete sich wieder die Gestalt vor dem weißglühenden Hintergrund ab, eine Kalaschnikow in beiden Händen haltend.
    »Ihr seid alle tot!«, brüllte Valja.
    Ihre Worte durchschnitten den Lärm des Kampfes und erhoben sich hoch über das Szenario. Einige der Soldaten erstarrten, sahen sie einen Moment lang an und eilten dann weiter.
    »Ihr seid alle tot!«
    Dann ließ Valja das Gewehr sinken, fiel neben mir auf die Knie und hielt meinen Kopf in ihren Händen. Die Leuchtkugeln brannten bunte Linien in den Himmel über uns, während die monotonen Kampfgeräusche anschwollen, immer wieder unterbrochen von den Schreien der Sterbenden. Unter der Kapuze flammten Valjas große Augen im schrecklichen Licht des Krieges auf.
    »Ich bin da, mein Geliebter. Du bist in Sicherheit, bei mir.«

53
    Meine Erinnerungen an die Nacht, in der Valja mich gerettet hat, und an die langen Monate davor sind verzerrt von der Zeit und von dem, was uns den schlimmsten Schmerz vergessen macht. Nicht allen Erinnerungen traue ich, aber das letzte Bild, als sie mich in ihren Armen wiegt, ist mir heilig.
    Dieser Augenblick ist fast genauso gut. Wir sind unter Menschen, die ich nicht kenne, und in der Scheune riecht es nach Ziegen und Heu und gekochtem Hammel, aber all das spielt jetzt keine Rolle. Nur Valja und ihre warmen Lippen sind wichtig.
    Nach einer Minute entfernt sie ihr Gesicht von meinem, ohne die Hände von meinen Schultern zu nehmen. Ich streiche ihr das Haar von den Wangen und sehe sie an. Es fällt schwer, jetzt etwas zu sagen. Sie lacht, flüstert meinen Namen und drückt mich mit ihren Schenkeln.
    »Was machst du hier?« Sie nähert ihren Mund meinem, als wolle sie mir ein Geheimnis verraten, beißt mir in die Unterlippe und hält sie zwischen ihren Zähnen. Dann beißt sie fester zu und presst sich an mich. Leckt über meine Lippe, lässt sie los und gibt ein schnurrendes Lachen von sich, das ich eher spüre als höre. »Ich hab dir doch gesagt, dass ich mich hier um alles kümmere.«
    »Ich hatte einen Urlaub nötig.«
    Sie streckt mir die Zunge heraus. »Komm schon«, sagt sie und zieht mich hoch.
    Das Innere der Scheune ist ein einziger quadratischer Raum. Eine flackernde Laterne und ein kleines Feuer, das durch ein Loch im Dach abzieht, sind die einzigen Lichtquellen. Ein Karren mit einem kaputten Rad steht schief in der hinteren Ecke neben einem Heuhaufen. Um das Feuer herum sitzen fünf Leute, alle in Decken gewickelt. Zwei davon sind Frauen. Alle tragen Waffen. Sie ignorieren Valja und mich geflissentlich, um uns ein gewisses Maß an Privatsphäre zu geben.
    Charlie hat sich zu ihnen ans Feuer gesetzt und zupft an ihren Verbänden. Matthews und Yusup unterhalten sich im Schein der Laterne an der Tür. Ich bin zu weit weg, um sie zu verstehen.
    »Das hier sind ein paar von meinen Freunden«, erklärt Valja. »Ich stelle euch später vor.« Sie stopft mir einen Stapel Decken in die Arme und schiebt mich zur Tür. Matthews verfolgt sie mit seinen Blicken, und als wir an ihm vorbeikommen, wendet er sich auf Englisch an mich: »Du hast sie nicht verdient, Volk.« Valja lacht fröhlich und antwortet mit ihrem singenden Akzent: »Das sage ich ihm auch immer.«
    Sie führt mich einen Hang hinauf, bis wir auf einem Felsvorsprung stehen. Von Jahrhunderten der Schneeschmelze hat sich ein Hohlraum im Stein

Weitere Kostenlose Bücher