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Im Schatten des Kreml

Im Schatten des Kreml

Titel: Im Schatten des Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
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entweder von dir oder von jemand anderem. Er hat auch dein kostbares Ei.«
    »Khanzad ist die Pest.«
    Abreg fixiert mich mit seinem schwarz-weißen Blick. Ich weiß erst nicht, auf welches Auge ich mich konzentrieren soll, aber wie immer zieht es mich zu dem toten, dem weißen.
    »Dann töte ihn.«
    Mit diesen Worten wendet er sich ab und hinkt vorsichtig davon, sein knorriger Stock klackert über die Bretter im Matsch. Einmal sieht er sich noch um, aber Schatten fällt auf sein Gesicht, und was immer er mir noch mitteilen will, verliert sich in der Dunkelheit.
    Nachdem er weg ist, führt mich der Junge den Weg hoch, den Matthews und die anderen am Abend zuvor gegangen sind. Als wir hinter dem Hühnerstall um die Ecke biegen, bohrt er mir den Kolben seiner AK in die Niere. Der Hieb zwingt mich in die Knie. Ich werfe mich vorwärts, rolle auf den Rücken, um dem Lauf auszuweichen, und versetze ihm einen Tritt, als er sich auf mich stürzt, in der Hoffnung, ihn am Knöchel zu erwischen und ihm mit dem anderen Stiefel die Kniescheibe zu zerschmettern, aber meine Reflexe sind hinüber. Mein Absatz trifft ihn Stattdessen am Oberschenkel, und er wirbelt herum und lässt das Gewehr fallen.
    Als er danach greift, lasse ich mein Knie gegen seinen Schädel sausen, springe auf seinen Rücken und ramme ihm den Ellbogen in den Kopf. Mein Versuch, ihn k. o. zu schlagen, scheitert daran, dass meine Hände gefesselt sind und ich nicht weit genug ausholen kann.
    Ein scharfes Pfeifen durchschneidet die Luft. Der hagere alte Mann, Yusup, steht vor einer der niedrigen Hütten mit einer Lampe und einem Gewehr in der Hand. Der Junge liegt im Dreck und blutet aus Nase und Mund. Ich trete das Gewehr außer Reichweite. Er braucht lange, um sich aufzurappeln. Als er endlich auf die Beine kommt, bleibt er taumelnd stehen, bis ich ihn vorwärts ins Licht von Yusups Laterne stoße. Er ist schon wieder genug bei Kräften, um leise vor sich hin zu fluchen. Yusup richtet ein paar harsche Worte an ihn und schickt ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung fort.
    Als er außer Sicht ist, betrachtet Yusup mich wie ein Botaniker eine neue Pflanzengattung. Er erinnert mich an eine etwas ältere Version von Vadim. Hager, nichts als Sehnen und Knochen, und leicht in sich zusammengesackt. Ihm fehlen so viele Vorderzähne, dass es aussieht, als wäre sein Kinn zu nah an der Nase. Ein Netz von Falten und eine tiefe Narbe prangen über seinem struppigen Bart. Er gibt mir mit dem Gewehr ein Zeichen, ihm zu folgen, und führt mich um die Hütte herum zu dem sechsrädrigen Ural-Transporter, der Rauchwolken ausstößt, während der Fahrer mit der Pirol-Mütze und der Pfeife zwischen den Zähnen den Motor im Stand warm laufen lässt.
    Yusup folgt mir nach hinten in den Wagen. Matthews sitzt schon auf der Bank hinter der Fahrerkabine, neben ihm Charlie. Die aufgeschlagene Plane lässt einen Lichtstrahl herein, der auf ihren linken Arm und den Rand eines blutigen Verbandes unter ihrer Jacke fällt. Matthews nickt mir zu, er blinzelt langsam und hält die Augen kurz geschlossen, lang genug, damit ich es als Bestätigung wahrnehme.
    Yusup setzt sich zwischen mich und die Plane. Er brüllt dem Fahrer Anweisungen zu, und der Ural macht sich schaukelnd auf den Rückweg nach Tindi. Eine Stunde lang sagt niemand ein Wort. Durch die Windschutzscheibe sehe ich die Lichter des Dorfes weiter unten, und dann wird die Dunkelheit durchbrochen von gelben Streifen, die zwischen den Brettern einer Scheune durchscheinen.
    »Der Junge ist nicht der Einzige, der dich umgebracht hätte«, sagt Yusup plötzlich auf Russisch, mit einem so starken Akzent, dass ich mich konzentrieren muss, um ihn zu verstehen. »Viele der Männer dort wollten das. Vor nicht allzu langer Zeit hätte ich es selbst getan.«
    »Warum heute nicht mehr?«
    Er leckt sich über die Lippen und fährt sich mit der Zunge über die Zahnstümpfe. »Ich habe dich vor Jahren in dieser Grube gesehen. Abreg hat die ganze Zeit mit dir geredet.« Er schlägt sich mit der rechten Faust auf die linke Brust. »Er hat gesagt, du seiest ein Mann mit Herz. Deswegen hat er dich damals am Leben gelassen, und jetzt auch, nehme ich an.« Er schiebt die Unterlippe vor und denkt über seine Worte nach. »Manchmal ist es schwer, ihn zu verstehen.«
    Er hält sich an der Mittelstange des Dachgestells fest und schwankt nach vorn, wo er sich neben Matthews und Charlie auf den Boden hockt und dem Fahrer durch das Loch in der Rückwand

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