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Im Schatten des Kreml

Im Schatten des Kreml

Titel: Im Schatten des Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
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rutschen einen Hang hinunter, der vor einem Graben endet. Unten angekommen sammeln sie sich für den Sprung, der sie auf die andere Seite befördert. Dort landen wir auf einer weiten, mit Schnee bedeckten Wiese, die von einem flackernden Feuerring erleuchtet wird. Als wir näher kommen, kann ich die Lichtquelle identifizieren: ein Kreis von Fackeln, die die pechschwarze Nacht erhellen, an deren äußerstem Rand bereits ein dünner elfenbeinfarbener Streifen die Dämmerung ankündigt.
    »Erinnerst du dich nicht, dass ich dir das schon mal gesagt habe?«, hakt Abreg nach. Jetzt, wo wir nicht mehr den schmalen Pfad entlangtrotten, lenkt er seinen Fuchs direkt neben meinen Rotschimmel, sodass wir Knie an Knie reiten. Sein Profil ist so zerklüftet wie die Berge, aber sein gesundes Auge wirkt äußerst wachsam.
    »Was gesagt?«
    »Deine Leute waren das, Volkovoj. Deine Leute haben mich zu etwas gemacht, das ich nie sein wollte.« Er spornt den Fuchs an und sieht mich von der Seite an, zusammengekauert in seinem Sattel. Dann legt er die rechte Hand aufs Herz und schlägt sich dreimal auf die Brust. »Das bin nicht ich. Ich bin kein Mensch, der andere bei lebendigem Leib verbrennt.«

50
    Mehr als zwei Dutzend bewaffneter Männer stehen in einem Kreis beisammen, der sich bei unserer Ankunft öffnet. Wir führen die Pferde an den Rand einer Grube, um die herum Erde aufgehäuft ist. Das Loch ist sieben bis acht Meter breit und ungefähr fünf Meter tief, und fast bis obenhin voll mit Holz, Ästen und Gestrüpp, genug Brennstoff für ein riesiges Feuer.
    Die Morgendämmerung dämpft das Licht der Fackeln. Eine weitere Kolonne von ungefähr fünfzehn Reitern taucht am Ende der Wiese auf. Sie schlängeln sich durch vereinzelt wachsende Weißbirken, die in der aufgehenden Sonne leuchten. Mehrere der Reiter in der Mitte der Gruppe sind in sich zusammengesackt, als wären sie verwundet.
    »Menschen sind käuflich, Volkovoj«, sagt Abreg.
    »Was soll das heißen?«
    »Ich war kurz davor, drei Barrel hoch angereichertes Uran zu bekommen, HOCH ANGEREICHERTES URAN.« Er zieht die Buchstaben in die Länge, jeden einzelnen serviert er mir wie einen Schlag ins Gesicht, aber da ich es schon von Matthews gehört habe, ist es keine Überraschung mehr. »Es sollte weiterverarbeitet werden, um kein Proliferationsrisiko darzustellen. Wahre Meister der Sprache sind das, diese UNO-Bürokraten.«
    Abreg zieht seinen Stock aus der Scheide und steckt das Mosin-Nagant wieder hinein. Einer seiner Männer eilt herüber, um ihm vom Pferd zu helfen, aber Abreg bleibt sitzen und blickt in die Grube.
    »Wenn sie das Zeug transportieren, ist es am ungeschütztesten – in der Zeit dazwischen, wenn es weder hier noch dort ist. Dinge verschwinden. Zauberer machen das dauernd. Ich habe mal eine Zaubershow in Grosny gesehen, ein paar Monate, bevor ihr es dem Erdboden gleichgemacht habt. Da hat ein Zauberer einen Elefanten verschwinden lassen.« Er schnippt mit dem Finger. »Zack, war er weg.«
    Er senkt den Kopf. »Wie meine Zamira. Und mein Sohn. Er war sechs, Volkovoj. Er hat Zaubern geliebt.« Er hält den Kopf immer noch gesenkt, sodass ich sein Gesicht nicht sehen kann. »Wie alt ist das Mädchen, nach dem du suchst?«
    »Zwölf.«
    Als er endlich aufblickt, ist keine Träne in seinem gesunden Auge, dem schwarzen. Als wäre der Moment der Erinnerung an seine Frau und sein Kind verschwunden wie der Elefant, nirgends mehr zu sehen, aber immer noch präsent.
    »Mit fünfzig Kilo hoch angereichertem Uran könnte ich genau so eine Bombe bauen wie die, die die Amerikaner über Hiroshima abgeworfen haben. Eine, die man in einer Garage am Roten Platz deponieren oder in einem Container an den Winterpalast liefern könnte. Ein paar hundert Kilo, mehr wiegt das Ding nicht.«
    Zehn der herannahenden Reiter tragen Kalaschnikows, den Lauf in den Himmel gerichtet. Die anderen fünf haben die Hände hinter dem Rücken zusammengebunden, so wie ich. Einer von ihnen trägt einen zerlumpten schwarzen Soldatenmantel, und das dünne graue Haar über seinem leichenblassen Gesicht weht in alle Richtungen. Der ehemalige Offizier ist älter als die anderen und wirkt benommen und verwirrt.
    Abreg nickt dem Mann mit dem biblischen Bart und dem grünen Rebellen-Stirnband zu. Jetzt, im Licht der Dämmerung unter einem glasklaren Himmel, sehe ich, dass er es war, der uns in der Nacht durch die Berge geführt hat. Er ergreift einen zerbeulten Kanister von der Größe eines kleinen

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