Im Schatten des Kreml
Galina«, sage ich.
»Und das Ei. Er will dich treffen. Um zu verhandeln, wie er es nennt.« »Hast du mit ihm gesprochen?«
»Ich war vor weniger als vier Stunden bei ihm im Dorf. Wir waren gut bewaffnet, er hat also gar nicht erst irgendwelche Anstalten gemacht, aber ich glaube, er hätte mich sowieso nicht als Geisel genommen. Er hat schon etwas Besseres.«
»Was will er von mir?«
»Er will, dass du das Ei mit nach Moskau nimmst. Und er will mit dir über etwas reden, das du ihm im Tausch für Galina geben sollst, einen Tipp, wie er sagt.«
»Was springt für ihn dabei heraus?«
»Bei Khanzad weiß man nie, was stimmt. Er sagt, der Kreml würde ihn als einen von drei Hauptverwaltern in Tschetscheniens Marionettenregierung einsetzen, als Verantwortlichen eines Komitees, das die Aufsicht über den Wiederaufbau des Landes hat.«
Das erste große Projekt wird der Ausbau der tschetschenischen Infrastruktur für Ölraffinerien und Pipelines sein – eines der primären Ziele der neuen Eigentümergruppe von Kombi-Oil. Das Ausmaß an Korruption bei solchen öffentlichen Bauvorhaben steht den schmutzigen Geldern, die in Moskau bereits fließen, in nichts nach.
»Ich weiß«, sagt Valja, die meine Gedanken liest. »Ich habe dasselbe gedacht, als du mir von Kombi-Oil erzählt hast. Sie haben Khanzad vollkommen unter Kontrolle. Er ist perfekt für sie.«
»Ich bin also nur der Kurier.«
Sie antwortet nicht.
»Das Spiel mache ich nicht mit.«
»Nein«, erwidert sie. »Es hätte mich auch gewundert.«
54
Am frühen Nachmittag des darauffolgenden Tages steuere ich den sechsrädrigen Ural ins Dorf. Valja sitzt auf dem aufgerissenen Vinylsitz neben mir, Yusup am Fenster. Wie schon zuvor zieht der knatternde Motor eine Ansammlung neugieriger Zuschauer an, von denen einige uns noch folgen, als wir geparkt haben und zu Fuß durch die kurvigen Straßen weiterlaufen, zwischen stufigen Reihen von Häusern aus Stein und Holz. Valja kennt den Weg und schreitet sicheren Schrittes voran, im selben fließenden Gang wie ich, aber sie hinkt sehr viel stärker. Sie hatte noch nicht die Zeit, sich an ihre Prothese zu gewöhnen.
Wir kommen zu einem Haus mit einer kunstvoll geschnitzten Tür und einem mehrfach verhängten Vorzimmer im Inneren. Zwei mit Kalaschnikows bewaffnete Männer stehen vor dem mit Vorhängen abgeschirmten Eingang, beide in blauen Anzügen, weißen Hemden und roten Krawatten. Einer hält seine Kalaschnikow auf uns gerichtet, während der andere uns gelangweilt abtastet und keine Waffen findet. Yusup behandeln sie geringschätzig, weil er in ihren Augen alt und gebrechlich ist. Er bleibt zurück, als Valja und ich durch die Vorhänge hindurch ein Restaurant betreten, dessen Tische mit weißen Tüchern und gläsernen Kerzenhaltern gedeckt sind.
Khanzad sitzt am hintersten Tisch, flankiert von zwei weiteren Männern, deren Kalaschnikows neben ihnen an der Wand lehnen. Außer uns fünfen und einem Kellner, der sich nervös über die schmutzige Schürze streicht, ist niemand zu sehen. Eine Flasche Rotwein und Brot stehen vor Khanzad. Seine Haut ist hell unter dem schwarzen Bart, der zu zwei Zöpfen geflochten und mit goldenen Perlen geschmückt ist. Sein schwarzer Nadelstreifenanzug steht ihm gut. Er hat die Statur eines Gewichthebers, aber ansonsten wirkt er wie ein westlicher Geschäftsmann mittleren Alters. Ich habe Bilder von ihm in offener Tarnjacke gesehen, über der behaarten Brust gekreuzte Patronengurte, auf denen er eher dem Banditen ähnelt, der er eigentlich ist. Der falsche Tschetschene passt sich an seine Umgebung an wie ein Chamäleon.
»Bitte«, sagt er und breitet die Arme über dem Tisch aus. Seine Einladung beinhaltet auch Valja, was hier selten ist und wahrscheinlich genau wie der Wein ein Ausdruck von Kultiviertheit sein soll.
Als wir uns setzen, schenkt der Kellner aus einer neuen Flasche ein, und Khanzad probiert wichtigtuerisch. Er hebt erst die Augenbrauen und dann das Glas, um zu demonstrieren, wie gut der Wein ist, woraufhin der Kellner auch Valja und mir eingießt.
»Siehst du, Volk, ich habe doch gesagt, ich würde ihr nichts tun. Wer könnte Valja Nowaskaja etwas antun, dem Juwel des Kaukasus? Ein Toast auf unsere neuen Freunde.«
»Wir sind wegen Galina und dem Ei hier«, erwidere ich.
Er verliert kurz die Fassung, fängt sich dann aber wieder. »Eins nach dem anderen. Lasst uns erst etwas trinken, essen und entspannen. Männer wie wir haben viel zu bereden, Volk. Denk nur an
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