Im Schatten des Kreml
gebildet, weich gepolstert mit Lehm und feuchten Blättern, auf die wir die Decken legen und Schulter an Schulter eng beieinandersitzen. Wir blicken hinunter auf das Dorf und auf die dunklen Silhouetten der Berge um uns herum.
Die Winterluft knistert. Spitze Felsen, hoch aufragende Bäume und die abgeschnittene Kuppel des Minaretts leuchten kurz auf im Licht eines phosphoreszierenden Sternenregens, der jetzt seinen Schein auch auf Valjas Wangenknochen wirft und die Schönheit ihres Gesichtes erahnen lässt. Süßer Kiefernduft erfüllt die Luft, die zwischen den hohen Gipfeln durch das Tal strömt und ein leises Seufzen verursacht, so, als würde man leicht in eine Flasche hineinblasen. Es kommt mir vor, als würde die Nacht über uns wachen, während wir all das wiederentdecken, von dem ich dachte, es sei für immer verloren.
Später, während die Sternbilder über uns ihrer Bahn folgen, erzähle ich ihr alles, was passiert ist, auch das, was sie schon weiß, für den Fall, dass ich irgendetwas übersehen habe. Sie sagt, was mit Alla passiert ist, täte ihr unglaublich leid, und ich antworte, dass ich das weiß. Sie fragt mich, woran ich gedacht habe, als ich in dem Loch in der Lubjanka saß, und als ich ihr erzähle, dass ich mich an meine Zeit in Tschetschenien erinnert habe, nickt sie und erklärt, sie denke auch dauernd daran.
»Heute würden wir es anders machen«, sagt sie.
»Ein schöner Gedanke, aber ich bin mir da nicht so sicher. Wir sind, was wir sind, und damals, an jenem Ort...«
Sie liegt direkt neben mir und schüttelt vehement den Kopf, der gegen meine Schulter drückt. »Das glaube ich nicht. Wir alle können uns ändern.«
Der USB-Stick schimmert silbern, als ich ihn hochhalte. »Das ist Starye Atagi. Ich frage mich, wie wir denken würden, wenn wir es mit eigenen Augen gesehen hätten.«
Sie nimmt den Stick an sich und dreht ihn in ihrer Hand. »So klein und so wichtig«, bemerkt sie. »Was hat der General damit vor?«
»Ich denke, er wird das Video bearbeiten. Die Gesichter austauschen. Gegen lebende Menschen, die schwören, dass sie dafür bezahlt wurden, diese Szenen zu spielen. Dann veröffentlicht er es selbst. Verstehst du?«
Sie nickt. »Wie Lenin gesagt hat, eine Lüge wird zur Wahrheit, wenn man sie nur oft genug erzählt. Und das hier ist noch besser: eine Lüge mit Bildern.«
Dieses digital manipulierte Meisterstück wird alles auf den Kopf stellen. Computergenerierte Fiktion mit plausiblem Hintergrund. Seht euch das an. Guckt mal, was wir hier aufgedeckt haben, mit welcher Propaganda Russlands Feinde arbeiten. Dann, nachdem sie ihre Geschichte erzählt haben, sterben die »Darsteller« einer nach dem anderen, und für jeden Toten werden die Separatisten verantwortlich gemacht, die sie angeblich für ihr betrügerisches Video angeheuert haben. Niemand wird beweisen können, dass Melniks Video echt ist, niemand wird nachweisen können, dass einer der Männer darin irgendwann in der Nähe von Starye Atagi war, geschweige denn, dass sie zusammen in einer Sondereinheit der inneren Truppen gedient haben. Wie beim Vorfall von Rjasan wird das Originalvideo, oder sogar das falsche, höchstwahrscheinlich zur Legende für Verschwörungstheoretiker, die das Ganze, ohne es zu wollen, noch weiter verschleiern; nur der Kreml hat natürlich das, was man in solchen Fällen braucht: die Allmacht, alles abzustreiten.
»Vielleicht haben diese Männer Abregs Strafe verdient«, meine ich leise.
Eine Eule fliegt unter den Sternen vorbei, ein dahineilender schwarzer Schatten.
»Wie kann er aber über andere richten?«
»Ich weiß. Ich denke eigentlich genauso.« Ich drehe mich zu Seite, um sie anzusehen. »Aber dann frage ich mich, wenn nicht er, wer dann? Und was würde ich tun, wenn du auf diese Weise getötet würdest?«
Meine Frage steht einen Augenblick wie ein Fremdkörper im Raum, ehe sie sich langsam verflüchtigt, wie Wasser, das Absatz für Absatz einen langen Hang hinunterfließt. Sie muss mir nicht antworten, wir wissen beide, dass meine Rache erst enden würde, wenn ich tot bin.
»Das ist das Problem, Alexei. Wo hört es auf?«
»Vielleicht tut es das nie. Eroberungen und Unterjochung hat es schon immer gegeben. Welches Land und welche Kultur ist nicht das Ergebnis davon? Dein j teip zum Beispiel, Valja. Bist du Russin oder Tschetschenin?«
»Beides, zwangsläufig.«
Die Eule ist verschwunden, aber von irgendwoher unten aus dem Tal erklingt ihr schauriger Schrei.
»Khanzad hat
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