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Im Schatten des Kreml

Im Schatten des Kreml

Titel: Im Schatten des Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
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ihm gegeben.«
    »Einem Gewissen? Was bedeutet das?«
    »Mehr hat er nicht gesagt. Ich weiß nicht, was er damit ausdrücken wollte.«
    »Mit wem hat Ravi in Tschetschenien gesprochen? Wen hat er dort getroffen?«
    In ihrem Zustand würde sie mir wahrscheinlich die Stirn bieten, wenn sie annehmen dürfte, es würde Ravi noch irgendetwas helfen. Aber das tut es nicht mehr, und ich merke, wie sie allmählich selbst zu dieser Erkenntnis kommt.
    »Khanzad«, presst sie schließlich hervor. »Ravi arbeitete mit einem Friedenskämpfer namens Khanzad zusammen.«

20
    Ein Blick in das Video, und Khanzad hätte sofort begriffen, was es wert ist. Luftangriffe gegen Feinde im Kaukasus, Morde, Geld, das auf Schweizer Konten landet – all das und mehr könnte sein Besitzer verlangen.
    Charlie umfasst ihr Gesicht mit den Händen und wischt dabei die Tränen ab. »Ich weiß, was Sie denken, aber es stimmt nicht. Khanzad hat Ravi nicht getötet. Die Russen waren es.«
    So wenig, wie sie von der Politik in Tschetschenien versteht, kann sie nicht ahnen, dass einer wie der andere ist. Egal, was Khanzad Ravi versprochen hat, es war gelogen.
    »Erzählen Sie mir etwas von dem Ei mit der Henne, Charlie.«
    »Was? Wollen Sie mich verarschen? Was macht ein verdammtes goldenes Ei jetzt noch für einen Unterschied?« Sie bewegt sich auf ihr Handy zu. »Ravi hat mir ein Bild davon geschickt. Er wusste, dass ich auf so etwas stehe.«
    »Woher hatte er es?«
    Sie holt tief Luft und atmet flatternd wieder aus. »Ich hab ihn gefragt, aber er wollte es mir nicht sagen.« Sie. fasst sich an die Schläfe und verschmiert das Blut, sodass ein Muster entsteht, das an Blattadern erinnert. Dann hickst sie und kommt mit Mühe auf die Beine. Einen Moment lang schwankt sie, ohne mich anzusehen. »Ich muss mich waschen.«
    Ich kontrolliere das Bad nach Waffen oder einem Fluchtweg. Es ist klein genug, um sich die Zähne zu putzen und das Gesicht zu waschen, während man auf der Toilette sitzt – seitwärts, mit dem Gesicht zum Waschbecken und zur Dusche, weil vor der Schüssel nicht genug Platz für die Knie ist. In einem Kulturbeutel klappert ein Fläschchen verschreibungspflichtiger Pillen, als ich darin herumwühle, sonst nur das Übliche. Der Raum hat kein Fenster und nichts, was man als Waffe gebrauchen könnte, jedenfalls Charlie nicht. Auf mein Nicken hin schlüpft sie an mir vorbei und schließt die Tür. Wasser rauscht in der Dusche.
    Ich denke ein paar Minuten lang darüber nach, was Charlie mir erzählt hat. Dann rufe ich Golko an und erkläre ihm, wo ich bin, und dass er zwei Männer vorbeischicken soll, um die Tochter des Senators abzuholen, jetzt gleich. Wenn Matthews sie tatsächlich so dringend haben will, sollten wir sie nicht verlieren. Und gerade als ich das denke, sehe ich Dampf unter der Badezimmertür hervorkriechen. Ich schlage gegen die Tür und rüttle am Griff.
    »Charlie?«
    Mit einem Mal steigt eine Ahnung, was sie sich angetan haben könnte, in mir auf. Ich trete die Tür ein und reiße den Plastikvorhang weg. Er fliegt mir entgegen, mit Stange und allem übrigen Zubehör.
    Wasserdampf steigt rund um Charlies ausgestreckten Körper herum auf. Sie hat ihre Kleider noch an, die dünnen Handgelenke sind nach wie vor mit Verband umwickelt. Weißer Schaum blubbert aus ihrem Mund. Die glasigen Augen stehen offen.
    Ich packe sie unter den glitschigen Armen und wuchte sie auf meine Schultern. Ihr Kopf schlägt gegen den Türrahmen, als ich sie hinaustrage und mit dem Gesicht nach oben aufs Bett fallen lasse. Ich presse beide Hände direkt unter ihr Brustbein und fange an zu pumpen, wieder und wieder, bis ihr etwas Schaum und eine milchige Flüssigkeit, bestehend aus rotem Borschtsch und braunem kvas, aus dem Mund rinnen. Ich überprüfe mit den Fingern, ob noch etwas in ihrem Hals steckt. Als ich sicher bin, dass der Atemweg frei ist, pumpe ich weiter, bis sie wieder von allein Luft holt, rolle sie dann auf die Seite und gehe ins Bad.
    Das Fläschchen ist leer. Auf dem Etikett steht, dass ursprünglich dreißig 8o-mg-Tabletten OxyContin darin waren. Keine Ahnung, wie viele davon sie genommen hat.
    Als ich zum Bett zurückkomme, sind ihre Pupillen so klein wie Stecknadeln. Ihre Haut fühlt sich kalt und feucht an. Plötzlich würgt sie heftig und erbricht noch mehr trübe, von rotbraunen Streifen durchzogene Flüssigkeit, die jedoch nur nach Roter Bete riecht, nicht nach Blut. Sie zieht die Knie an die Brust und atmet schnell und flach.

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