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Im Schatten des Kreml

Im Schatten des Kreml

Titel: Im Schatten des Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
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In der Spüle steht ein benutztes Glas, ich lasse Wasser hineinlaufen und versuche, es ihr einzuflößen, während ich ihren Kopf in meinem Schoß wiege. Das meiste geht daneben, aber ein bisschen davon kann sie schlucken. Ich presse eine Hand unter ihre linke Brust. Ihr Puls schlägt schnell, aber regelmäßig.
    Da ich nichts anderes tun kann als warten, entferne ich den Verband von ihrem linken Unterarm. Zwei zerklüftete Narben, schraffiert von schwarzen Stichen, ziehen sich von der Handinnenfläche hoch zur Armbeuge. Manche Menschen kämpfen um ihr Leben. Andere sehnen sich nach dem Vergessen.
    Charlie ist bewusstlos, atmet aber vernünftig, als Golkos Männer, zwei der Soldaten aus dem Parkhaus, kommen. Sie tragen Zivilkleidung, aber mit ihrem kurz geschorenen Haar und der steifen Haltung wirken sie dennoch wie in Uniform. Ich löse das Peace-Zeichen vom Fenster ab. Es ist ein Aufkleber, kaum größer als meine Hand. Ich stecke ihn in Charlies Jeanstasche, ehe ich sie in die Decke auf ihrem Bett einwickle; die beiden tragen sie hinaus, als wäre sie krank oder betrunken. Sie wird in einer der Zellen des Generals unter dem Kreml landen, als Trumpf, den er ausspielen wird, wenn die Zeit reif dafür ist.
    Als sie weg sind, stehe ich in der Mitte des Raums und sehe mich ein letztes Mal um, aber mir fällt nichts Wichtiges mehr auf. Ich habe noch drei Stunden, bevor ich mit Golko nach Wladimir fahre. Genügend Zeit, um Barokov zu treffen und ihm noch ein paar Fragen zur Explosion zu stellen. Und vielleicht jemanden zu retten, der auch gerettet werden will. Charlie mag ihr Leben aufgegeben haben, aber Galina hat vielleicht noch eine Chance auf ihres.

21
    Die Polizeiwache im dreißigsten Bezirk ähnelt mit ihren ungleichmäßig gesetzten Steinblöcken von außen einer zerbröckelnden Ruine. Drinnen ist es heiß und stickig. Am Empfangstresen sitzt ein Beamter auf einem Barhocker hinter einer Glasscheibe, die er auch nicht öffnet, als ich nach Inspektor Barokov frage.
    »Wer sind Sie?«, brüllt er durch die Scheibe.
    Seine Seite des Tresens ist übersät von Überresten seiner letzten Mahlzeit und zusammengerollten Formularen, die so aussehen, als hätte sie seit der Perestroika niemand mehr angerührt.
    »Sagen Sie ihm, sein Freund, dem der linke Fuß fehlt, ist hier.«
    Das ist das Beste, was mir auf dem Weg hierher eingefallen ist. Meinen Namen kennt er nicht, und dass ich der Oberst bin, den Barokov gestern Abend kennengelernt hat, kann ich schlecht sagen, nicht hier in der Öffentlichkeit. Ich schätze, er wird sich daran erinnern, wie sich meine Prothese anfühlte, als er mich nach der zweiten Explosion auf Verletzungen untersuchte. Der Mann erhebt sich, um durch das Glas zu spähen, sein Bauch hängt ihm zwischen den Knien wie ein Sack Mehl, dann setzt er sich wieder und guckt enttäuscht. Das Einzige, was es zu sehen gab, ist der Stiefel über meinem falschen Fuß.
    »Ihnen fehlt doch gar nichts.«
    »Ist ein alter Witz.«
    Er zieht die Augenbrauen zusammen, wahrscheinlich überlegt er, ob ich mich über ihn lustig mache. Dann rutscht er von seinem Stuhl, walzt nach hinten und lässt mich am Empfang stehen.
    Die Dienststelle fällt auseinander, und die anfallenden Reparaturen werden bestimmt nicht so bald in Angriff genommen. An den weißen Wänden klebt grüne Farbe, die tiefe Risse aufweist. Der Heizungskessel unten kämpft schnaufend und polternd gegen Moskaus Januarfrost an. Kondenswasser tropft von den Rohren unter der Decke. In den Ecken breiten sich feuchte braune Flecken aus, die wie Baumringe aussehen.
    Ein zerzauster Amerikaner Mitte dreißig mit einem funkelnden Diamantring im linken Ohr redet auf Englisch auf einen der Polizeibeamten ein. »Das Hotel hat meinen Ausweis und mein Visum. Hier, rufen Sie an.« Er will dem vollkommen unbeeindruckten Polizisten die Schlüsselkarte für sein Zimmer geben. Statt sie zu nehmen, schiebt dieser ihm ein aufgeschlagenes Gesetzbuch entgegen. Es ist auf Kyrillisch, der Tourist hat also gar nicht die Möglichkeit, dort zu lesen, dass Ausweispapiere zu jeder Zeit bei sich zu tragen sind. Aber er starrt unnützerweise auf das Buch, statt seinen Kopf zu gebrauchen und sich zu überlegen, wie er sein Problem am besten lösen könnte, nämlich mit Schmiergeld. Er blickt hoch. »Ich werde mich an die amerikanische Botschaft wenden.«
    Ich übersetze es dem Polizisten.
    »Gut. Sollen sie vorbeikommen und sich angucken, wie es hier aussieht. Dann können sie uns gleich

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