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Im Schatten des Kreml

Im Schatten des Kreml

Titel: Im Schatten des Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
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bedeutet, dass es im Norden besonders frostig sein wird – gute Nachrichten für alle, die nicht wollen, dass die Schrecken des Gulags ans Tageslicht kommen. Hin und wieder entdeckt jemand ein Massengrab aus jener Zeit, aber größtenteils verbirgt der nördliche Dauerfrost die Leichen unter Schichten von Eis – und die jahrzehntelangen Lügen bleiben weiterhin unwiderlegt.
    Ich weiß nicht genau, warum ich solche Gedanken habe. Genau wie die entfernte Erinnerung an meinen Vater, den ich nur als Hirngespinst kenne, bahnen sie sich immer im falschen Augenblick ihren Weg.
    Ich konzentriere mich wieder. »Was glauben Sie, warum Ravi ermordet wurde, Charlie?«
    Tränen rinnen ihre Finger hinab. Sie murmelt ein paar Worte, die ich nicht ganz verstehe, etwas von wegen, sie wünschte, sie wäre tot. Melodramatisch, wie aus einem amerikanischen Film; also stelle ich die Frage noch einmal etwas schroffer.
    »Ravi wollte eure Armee als einen Haufen randalierender Bestien entlarven – Mörder und Vergewaltiger, die in Tschetschenien Familien und ganze Dörfer ausrotten.« Sie versteckt sich immer noch hinter ihren Händen. »Wie viele Geschichten müssen noch erzählt werden, bevor die Menschen zuhören?«
    Zwangsumsiedlungen, Todesschwadronen, Filtrationslager, Folter, Sklavenhandel – der Widerhall von Stalins Säuberungsaktionen im 21. Jahrhundert ist mir bekannt. Teilweise habe ich es selbst miterlebt, aber da ich fast immer allein oder in kleinen Gruppen gekämpft habe, blieb mir das Schlimmste erspart. Erst in letzter Zeit, seitdem Valja weg ist, denke ich darüber nach, ob ich genauso gut zu den Unterdrückern hätte gehören können, die für dieses Grauen verantwortlich sind, statt ein anständiger Soldat zu sein, der für sein Heimatland kämpft. Fragen, die nicht immer einfach zu beantworten sind.
    »Ravi war ein Idealist«, fährt Charlie fort. Sie liegt immer noch auf dem Boden. Resigniert lässt sie die Hände sinken. »Immer wieder sagte er zu mir und allen anderen, die ihm zuhörten: ›Ich brauche Beweise.‹ Und er bekam sie. Er hatte ein Video, das nicht mal der gerissenste Politiker eurer Regierung hätte übergehen können. Ein Video! Da gibt es keine Lügen!«
    Sie bleibt flach auf dem Rücken liegen und keucht fast vor Erregung.
    »Und dann haben sie ihn getötet wie einen Hund«, flüstert sie.
    »Wo ist das Video jetzt, Charlie?«
    Sie wischt sich eine Träne weg. Ihre Unterlippe bebt, aber als sie versucht, es unter Kontrolle zu bekommen, wirkt sie nur noch hilfloser. Mühsam schlängelt sie sich von meinem Stuhl weg, setzt sich auf und legt den Kopf zwischen die Knie. Sie zittert, aber nicht nur aus Angst und Kummer, wie ich feststelle. Offenbar gerät sie wieder in Rage.
    »Ich habe keine Ahnung, wo das gottverdammte Ding ist, aber wenn ich es wüsste, dann hätte ich es auf alle Internetseiten gestellt. Sie können mich mal! Ihr alle könnt mich mal!«
    Ihre Wut berührt mich nicht. Ravi war lange nicht so unschuldig, wie sie glaubt. Und ich bin mir sicher, was immer auf dem Video zu sehen ist – welcher spezielle Krisenherd auch immer hier beleuchtet sein mag es ist nur ein kleiner Teil des Ganzen. Gut und Böse sind nicht so leicht voneinander zu trennen.
    Ich glaube ihr, dass sie nicht weiß, wo das Video ist. Aber die Teile des Puzzles, die sie mir geliefert hat, fügen sich allmählich zusammen. Wenn es existiert, würde solch ein Video mehr als nur den Leuten schaden, die darauf zu sehen sind. In gewisser Hinsicht würde es die Kultur anklagen, die diese Verbrechen hervorbringt. Ob zu Recht oder Unrecht, es würde auf internationaler Ebene gegen Russland verwendet werden. Und jemand wie Abreg würde es gegen die Soldaten verwenden, die darauf zu erkennen sind. Abreg tötet Soldaten, hat Valja gesagt. Jetzt ist mir auch klar, warum, und woher er wusste, wer genau seinen Zorn verdient hat.
    »Haben Sie es sich angeschaut?«, frage ich Charlie.
    »Nein. Ravi hat mir erzählt, es sei mit einer Handkamera gefilmt worden, vielleicht von einem Handy – alles kurze, zusammengeschnittene Szenen. Neunundzwanzig Minuten Dantes Hölle, meinte er.«
    »Wer hat es gedreht?«
    »Keine Ahnung. Ravi wusste es selbst nicht, glaube ich wenigstens. Er hat anfangs ein großes Geheimnis daraus gemacht, außerdem war er hier, und ich war noch in Singapur und... ich habe nicht genug Fragen gestellt. Ich wünschte, ich hätte es.«
    »Woher hatte er das Video?«
    »Er sagte, ein Mann mit einem Gewissen habe es

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