Im Schatten des Kreml
ein bisschen Geld für die Renovierung geben.« Er mustert den Touristen. »Idiot.«
Der fette Beamte kommt zurück und zeigt mit dem Daumen in Richtung Metalltür. »Ganz nach hinten durch.«
Die Tür führt zu einem Vorzimmer, das leer ist, bis auf einen Tisch gegenüber einer unbesetzten Zelle mit Gitterstäben und eingelassener Betonbank. Eine weitere Tür aus gesplittertem Holz und mit einem Loch an der Stelle, wo eigentlich der Knauf sein sollte, steht halb offen. Ich gehe durch sie hindurch in den Gruppenraum. Drei Polizisten sitzen an Tischen, die so alt sind wie meiner. Einer tippt auf einer Schreibmaschine, einer spricht in ein schwarzes Drehscheibentelefon und einer füllt handschriftlich ein Formular aus. Zwei andere stehen zusammen und unterhalten sich. Der Raum stinkt nach abgestandenem Zigarettenqualm, Schimmel und Männern, die nicht oft genug duschen. Sie halten inne und starren mich an, als ich zwischen den Tischen hindurch nach hinten gehe, wo mich Barokov in seinem winzigen Büro erwartet. Ich schließe die Tür hinter mir, setze mich in einen schiefen Stuhl und stoße mit den Knien gegen seinen Schreibtisch.
Er trägt einen zerknitterten braunen Anzug, vielleicht denselben, den er gestern Abend anhatte, und im Sitzen kommt er mir noch rundlicher vor, als ich ihn in Erinnerung habe.
»Sie sehen irgendwie anders aus, Oberst«, sagt er und begutachtet meine Zivilkleidung.
»Sie sind nicht dumm, Barokov. Finden Sie heraus, woran es liegt.«
Er nickt nachdenklich und betrachtet mich. »Genau das, wovor jeder Russe Angst hat«, murmelt er. »Der Erste, der durch die Tür kommt, ohne Uniform. Ein Killer in der Nacht.«
Ich mochte Barokov von Anfang an, als er vortrat, nachdem ich Filip Lacheks Sohn den tödlichen Schlag versetzt hatte. Vielleicht ist das der Grund, dass seine Worte, so berechtigt sie auch sein mögen, mehr wehtun, als sie es sollten.
»Ja«, entgegne ich leise. »Der Erste, der tötet. Und der Erste, der stirbt.«
Er blinzelt zweimal schnell hintereinander, als hätte ich ihn ins Gesicht geschlagen, und scheint dann über meine Worte nachzudenken. »Wohl wahr.« Er lehnt sich zurück und schlägt ein Bein über das andere, während seine Miene einen annähernd freundlichen Ausdruck annimmt. »Ihr Gesicht sieht nicht gut aus. Wie geht es dem Rest?«
»Die Frau in der Kommandozentrale gestern Abend, blond, marineblauer Anzug.«
»Was ist mit ihr?«
»Das wollte ich von Ihnen wissen. Ist Ihnen irgendetwas an ihr aufgefallen?«
Er runzelt die Stirn. »Sie sah mitgenommen aus, voller Ruß, aufgebracht – irgendwie außer sich. Nichts Ungewöhnliches angesichts der Umstände. Warum?«
»Hat sich ihr Verhalten verändert, als Lachek reinkam?«
»Lachek und sie waren beide schon da, als ich dazukam. Er war früher als alle anderen vor Ort und hatte alles vorbereitet, einschließlich der Pläne. Ich weiß nicht, wie er das so schnell geschafft hat.«
Dieser Teil von Charlies Geschichte scheint zu stimmen. Lachek und sie kamen gemeinsam an.
»Worauf wollen Sie hinaus, Oberst?«, fragt Barokov.
Aber ich habe weder Zeit noch Lust, Spekulationen anzustellen. Ich wechsle das Thema. »In Ihrem Bezirk wird ein Mädchen vermisst.«
Sein plötzliches Schweigen zeigt mir, dass ich einen wunden Punkt getroffen habe. »Wer?«
»Galina Cheslava.«
»Warum interessiert Sie das?«
»Das ist etwas Persönliches«, erwidere ich, was ausreicht, um ihn glauben zu lassen, dass es alles andere als das ist.
Sein Blick sagt mir, ich solle mich besser nicht in die Angelegenheiten der Polizei einmischen. Aber ein Moskauer Polizeiinspektor ist einem Oberst der Armee immer unterstellt, selbst wenn der keinen genau definierten Kompetenzbereich hat. Oder vielleicht gerade dann.
»Sie wird erst seit ein paar Tagen vermisst. Viele zwölfjährige Mädchen laufen von zu Hause weg.«
»Was ist mit dem Mädchen, das vor einem Monat verschwunden ist?«
Er mustert mich, sein Gesicht bleibt ausdruckslos. »Ermordet«, antwortet er ungerührt. »Von einem extrem gewalttätigen Pädophilen. Der Tatort war ein Horrorszenario. Jede Menge DNA, die nicht zu dem Opfer gehörte, aber keinerlei Übereinstimmung. Warum interessiert Sie das?«
»Ich bin mit Galinas Mutter befreundet. Ich würde Galina gern davor bewahren – wie hieß das Mädchen, das ermordet wurde?«
»Tanja.«
»Ich würde Galina gern vor Tanjas Schicksal bewahren.«
Er nimmt ein papiergebundenes Gesetzbuch und blättert abwesend mit dem
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