Im Schatten des Kreml
was immer ich erwische, und richte es gegen mich selbst. Ich kenne das Ende des Spiels. Meine Schmerzgrenze ist hoch, aber bei niemandem liegt sie hoch genug. Ein schneller Tod ist der Alternative tausendmal vorzuziehen.
Helles Licht erfüllt den Schacht, noch blendender als der Strahl, der mich auf dem Stahlträger im AMERCO-Gebäude getroffen hat. Etwas schlägt gegen meinen Kopf. Ich zucke zusammen und greife instinktiv danach. Es ist eine Metallhalterung an einem Ledergurt, der auf meine Schulter fällt.
»Stecken Sie den Kopf und die Arme durch die Schlaufe.«
Ich muss noch verwirrter sein, als ich es für möglich gehalten hatte, denn die Stimme kommt mir bekannt vor. Ich tue wie mir befohlen, mit knirschenden Gliedern, als wären sie aus verrostetem Eisen, und bewege mich noch langsamer als nötig, weil es für mich nur von Vorteil ist, einen möglichst geschwächten Eindruck zu machen. Es dauert mehrere Minuten, während der ich dem Grummeln der Stimmen über mir lausche. Die Lederschlaufe hält mich unter den Armen, als ich mich unbeholfen an den Aufstieg mache und mich an den schroffen Schachtwänden stoße und scheuere. Schließlich nehmen raue Hände sie mir schnell ab und legen mich auf die kalten Kacheln.
Ich kneife die Augen gegen das schmerzende Licht zusammen. Mehrere schwankende Gestalten schwimmen im grellen Schein über mir. Eine von ihnen löst sich von den anderen, beugt sich über mich und schaut von weit oben auf mich herab.
»Scheiße noch mal, Volk, du siehst schlimm aus«, sagt Brock Matthews.
42
Zwei Männer, die aussehen wie Krankenpfleger, laden mich auf eine Trage und bringen mich weg. Matthews spaziert nebenher, während ein anderer Mann, den ich nicht sehe, vorangeht. Seine Schritte sind das Einzige, was auf seine Anwesenheit hinweist.
»Du hast das Mädchen gefunden«, sagt Matthews.
»Welches Mädchen?« Die Zeit im Schacht hat meine Sinne derart verwirrt, dass ich einen Moment lang wirklich nicht weiß, von wem er redet. Mein Mund ist so verklebt, dass ich kaum die Zunge bewegen kann.
»Die Tochter des Senators.«
Ich glaube nicht, dass er weiß, dass ich sie gefunden habe. Er rät nur. »Wo ist Lachek? Hundebabys häuten?«
Wir kommen zu einem Fahrstuhl. Die Türen gehen mit einem Klingeln auf, und unsere kleine Gruppe tritt ein und fährt mehrere Stockwerke hoch zu einem Gang, der zu einer blitzblanken Krankenstation führt. Matthews tritt beiseite, und die beiden Pfleger heben mich auf eine fahrbare Trage und übergeben mich an einen Kollegen, der noch behaarter als Maxim ist und fast genauso groß. Er schrubbt mich grob ab, erst mit Seife und Wasser, dann mit einer Desinfektionslösung, die mir in den Augen brennt, schließlich wieder mit klarem Wasser, bevor er mich trocken tupft.
»Wie lange war ich da drinnen?«, erkundige ich mich bei Matthews.
»Heute ist der Fünfzehnte.« Er sieht auf die Uhr. »Fast fünf Uhr nachmittags. Wann haben sie dich da reingesteckt?«
Mehr als zweieinhalb Tage also – verlorene Zeit. Ich frage mich, ob Valja in Sicherheit ist, und ob sie Galina gefunden hat. Ob auch das hier zu Lacheks Plan gehört, oder ob ihm wirklich etwas dazwischengekommen ist?
Ein Arzt, der alt genug aussieht, um Stalin behandelt zu haben, sticht mir eine Infusionsnadel in den Unterarm und dreht einen Tropf auf. Am ganzen Körper klebt er mir Elektroden auf und befestigt daran Drähte, die an einen Computer angeschlossen sind. Als dieser anfängt zu brummen, schiebt er ihn beiseite und reibt ein brennendes Gel in den Schnitt an meinem Knie und die Fleischwunden auf meinem Rücken. Kommentarlos untersucht er meine Verbrennungen von der Explosion im AMERCO-Gebäude und streicht mit einem Handschuh Salbe darauf.
»Wo ist mein Fuß?«
Der alte Arzt ignoriert mich. Er fummelt an einem Rädchen am Schlauch herum. Dann schlingt er eine Blutdruckmanschette um meinen Arm und misst meinen Puls. Er notiert etwas in einer Tabelle, ehe er ein kaltes Stethoskop an meine Brust drückt.
»Du bekommst deinen Fuß wieder, Volk«, sagt Matthews. »Aber erst mal müssen wir Charlie finden.« Er steht seitlich von mir. Ich müsste mich anstrengen, wenn ich ihn sehen wollte.
»Mit nur einem Bein kann ich dir nicht helfen.«
»Hilf uns, oder du gehst zurück zu Lachek. Du hast die Wahl.«
Der Arzt befestigt ein Pulsoxymeter an meinem Finger. Kritzelt wieder etwas in die Tabelle. Steckt mir eine Sonde ins Ohr. Leuchtet mit einer Taschenlampe in meine Pupillen. Schreibt
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