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Im Schatten des Kreml

Im Schatten des Kreml

Titel: Im Schatten des Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
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ethnischen Minderheiten zugehörig. Ich könnte Ihnen ein Dutzend weitere Beispiele nennen. Und wir sollen die Terroristen sein? Weil Sie eine Uniform tragen... sind Sie im Recht?«
    Das Rot einer Zigarettenpackung guckte aus einer ihrer Jackentaschen hervor. Ich nahm sie, schüttelte eine Zigarette heraus, gab sie ihr in die freie Hand und zündete sie mit einem der Streichhölzer an, die unter der Plastikfolie der Packung steckten. Sie nahm einen kräftigen Zug. Ihr geflochtenes schwarzes Haar schien in einem immer größer werdenden Fleck roten Schnees zu ertrinken.
    Ich legte ihr eine weitere Zigarette und ein Streichholz in die Hand und steckte die Packung zurück in die Tasche. Das Streichholz würde sie mit dem Daumen anzünden können.
    »Was waren Sie früher?«, fragte ich.
    »Lehrerin.« Ihre Lippen kräuselten sich verbittert, als sie eine Rauchwolke ausstieß. »Ich habe Geschichte unterrichtet ... für Kinder, die keine Zukunft hatten.«
    Die Erschöpfung vom Kampf und der Kälte kroch in jede Faser meines Körpers. Ich dachte an Valja und all die anderen, die auf mich warteten und sich fragten, wo ich war. Aber sie waren nicht in Gefahr. Ich würde bald wieder bei ihnen sein.
    »Soll ich es tun?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    Ich stand auf, mein rechter Fuß schmerzte und war voller Blut, aber immer noch stark und sicher genug; der linke war bereits vor fast einem Jahr seinem Schicksal erlegen. Ich warf einen Blick auf die Makarow, die aus dem Schnee hervorguckte. »Kommen Sie da ran?«
    Sie nickte und schloss die Augen. »Warum gehen Sie nicht einfach nach Hause? Lassen Sie uns in Frieden.«
    »Die Armee ist mein Zuhause.«
    »Wie traurig.« Ihre Augen blieben geschlossen, als wollte sie das Böse abwehren. »Sehen Sie nicht, was ... was Sie den Menschen hier antun? Können Sie nicht mal für einen Augenblick die Augen öffnen... und wirklich sehen?«
    Ich wandte mich ab und machte mich auf den Rückweg, um die Felswand herum, dem Geröll der Moräne folgend in ein Tal hinab, das irgendwann einmal das Eis in die Landschaft gegraben hatte. Ich durfte keine Silhouette werfen und musste mich zum Schutz vor weiteren Patrouillen über die Geröllfelder Vorarbeiten. Ungefähr vier Stunden würde es dauern, bis ich bei Valja war, rechnete ich mir aus, es sei denn, ich würde mich unterwegs irgendwo verstecken müssen.
    Nach kaum mehr als der Zeit, die man braucht, um eine Zigarette zu rauchen, erklang das Echo eines einzelnen Schusses von den steilen Wänden hinter mir.

41
    Der Vorfall in den gletscherbedeckten Bergen ereignete sich irgendwann in meinem letzten Kriegsjahr. Ich weiß das, weil ich damals dauernd an Valja dachte. Episoden wie diese sind zu einem einzigen verschwommenen Bild verschmolzen, wo die Zeit nur an den besonders gewalttätigen Momenten gemessen werden kann, wenn Angst und Adrenalin sich am tiefsten in mein Gedächtnis bohrten. Mir fallen diese Dinge ein, weil die grimmige Kälte meiner Klaustrophobie auslösenden Zelle mich an den eisigen Frost auf meinem langen Weg zurück in unser Lager in den blutverschmierten Überresten meines Schneeanzugs erinnert. Und weil, wenn ich heute dorthin zurückkehren und noch einmal mit ihr sprechen könnte, ich der sterbenden Lehrerin erklären würde, dass wir uns die Familie nicht aussuchen, in die wir geboren werden.
    Ich weiß nicht, wie lange ich schon in diesem Loch stecke. Länger als einen Tag, nehme ich an, vielleicht zwei, ohne Essen, ohne Wasser. Die feuchten Wände abzulecken hinterlässt einen widerlichen Verwesungsgeschmack in meinem Mund. Die Luft ist so dick vom Gestank der Exkremente – meiner und die der früheren Insassen dass ich sie fast schmecken kann. Irgendetwas scheint sich im Schlamm zu winden, aber in der Dunkelheit kann ich nicht erkennen, mit wem oder was ich diesen Raum teile.
    Ein hohles Kratzen kommt von oben, jemand schiebt das Eisengitter zur Seite. Ich bin so eingequetscht, dass ich nicht mal hochgucken kann. Aber meine Zeit in diesem Schacht ist endlich zu Ende, und dafür bin ich dankbar. Was immer Lachek mit mir vorhat, es wird wenigstens etwas anderes sein, und ich werde dafür sorgen, dass es nicht zu lange dauert.
    Alles, was ich brauche, ist ein Augenblick der Unachtsamkeit. Ein Ausrutscher, ein umherstreifender Blick, ein ungeschützter Finger: ein Griff, und schon habe ich die Waffe. Dann heißt es, so viele wie möglich von ihnen umzulegen, und im schlimmsten Fall nehme ich die Pistole, das Messer, oder

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