Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
Jonans Angriff auf die Innenstadt von Arcadion vor einer Woche anscheinend so weit erholt, dass Großinquisitor Aidalon seine Klauen bereits wieder nach ihnen ausstreckte.
Er hatte ihnen hasserfüllt versprochen, dass sie sich wiedersehen würden, als sie ihn, eingeklemmt unter der Rüstung eines seiner Templersoldaten, auf dem Quirinalsplatz zurückgelassen hatten. So bald hätte Carya seine Männer jedoch nicht erwartet. Aber welchen Grund sollte es sonst für einen Soldaten aus Arcadion geben, das Dorf der Ausgestoßenen zu belauern, wenn nicht die Frage, ob sich Jonan und sie noch immer dort aufhielten?
»Los, das schauen wir uns an«, sagte Jonan, dessen Gedanken sich offenbar in eine ähnliche Richtung bewegten. »Mablo, kannst du das Reh alleine abliefern?«
Dieser nickte knapp.
»Wo ist der Gefangene jetzt?«, wollte Carya von dem Jugendlichen wissen.
»Sie sind alle in Orduns Haus.«
»Danke.«
Gemeinsam liefen Carya und Jonan die Dorfstraße hinunter bis zum Haus des Priesters und Stammesführers. Es handelte sich um ein zweistöckiges Gebäude, das aussah, als sei es früher, bevor die ursprünglichen Dorfbewohner verschwunden waren und die Ausgestoßenen sich hier angesiedelt hatten, das Rathaus gewesen.
Ein kleiner Menschenauflauf hatte sich vor dem Eingang gebildet. Carya sah Pitlit und seine neue Freundin, die zierliche Suri mit dem lichten Haar. Auch die Frau des Dorfarztes Nessuno, der Carya, Jonan und Pitlit bei ihrer Ankunft im Dorf so freundlich aufgenommen hatte, stand dort. In den Armen hielt sie einen Korb mit Pilzen, und ihr Blick war sorgenvoll auf die offene Tür des Hauses gerichtet, vor der einer der Jäger der Gemeinschaft Wache stand.
»Verzeihung. Dürfen wir mal durch?« Mit sanfter Gewalt bahnte Jonan ihnen einen Weg durch die Menge.
Als Pitlit sie bemerkte, drängte er sich zu ihnen herüber. »Habt ihr das mitgekriegt?«, rief er aufgeregt. »Die haben drüben auf dem Hügelkamm einen Spion des Lux Dei überrascht.«
»Wissen wir sicher, dass es sich um einen Mann aus dem Orden handelt?«, wollte Jonan wissen.
Der Straßenjunge aus Arcadion, der sich ihnen auf ihrer Flucht vor der Inquisition angeschlossen hatte, zuckte mit den Schultern. »Na ja, er behauptet natürlich, ein harmloser Reisender zu sein, der zufällig hier vorbeigekommen ist und nur mal schauen wollte, was im Dorf so passiert. Normale Leute lassen sich schließlich nicht einfach so mit Mutanten ein. Nicht nach allem, was man sich über sie erzählt. Aber wenn ihr mich fragt, lügt er.«
»Wie kommst du darauf?«, fragte Carya.
»Bauchgefühl.« Pitlit tippte auf seinen Magen. »Ich kann Leute gut einschätzen. Das musste ich auf den Straßen von Arcadion lernen. Und dieser Kerl hat etwas in seinem Blick, das mir nicht gefällt.«
»Wir werden sehen«, sagte Jonan.
»Ich komme mit«, erklärte Pitlit.
»Nein, Pitlit. Sei so gut und warte hier draußen. Es ist sicher schon voll genug dort drinnen. Wir berichten dir nachher, was vorgefallen ist.«
Der Straßenjunge machte ein missmutiges Gesicht. »Toll«, brummte er leise.
»Warum hast du ihn nicht mitgehen lassen?«, fragte Carya leise, während sie die Stufen zu dem Wachmann hinaufstiegen.
»Weil ich jede Wette eingehen würde, dass dieser Spion gerade gründlich von Ordun befragt wird – und das ist sicher kein schöner Anblick.«
Carya erschrak, auch wenn sie eigentlich damit hätte rechnen müssen. »Du meinst, sie foltern ihn?«
Jonan bedachte sie mit einem seltsamen Seitenblick. »Sicher nicht so, wie die Inquisition des Lux Dei ihre Opfer foltert – aber ja.«
Der Jäger am oberen Ende der Treppe neigte den Kopf und trat zur Seite, um sie durchzulassen. Für die Tochter des Himmels und ihren Begleiter gab es in der Gemeinschaft der Ausgestoßenen keine verschlossenen Türen.
Drinnen wurden sie von Petas, einem weiteren Krieger der Gemeinschaft, empfangen. »Was macht Ihr hier, Tochter des Himmels?«, flüsterte er eindringlich. »Ihr solltet nicht hier sein.«
»Wir wollen den Gefangenen sehen«, antwortete Jonan an Caryas Stelle. »Kommt er wirklich aus Arcadion?«
»Wir wissen es nicht genau … noch nicht. Er wurde ja eben erst entdeckt.« Der Mann warf einen Blick über die Schulter.
Am anderen Ende des Eingangsbereichs stand eine Tür offen. Durch diese sah man den Rücken eines Mannes, der bis auf die Unterwäsche entkleidet worden war und nun gefesselt auf einem Stuhl saß. Ordun, der eindrucksvolle, glatzköpfige Anführer
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