Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
der Ausgestoßenen, und zwei Begleiter, deren Krankheiten ihnen besonders schlimme Entstellungen beschert hatten und die daher ausgesprochen furchteinflößend wirkten, ragten vor ihm auf.
»Verstehen Sie doch: Ich habe nichts getan«, vernahm Carya die Stimme des Mannes. Die Angst verlieh ihm einen schrillen Tonfall. »Ich bin einfach nur ein Wanderer, der zufällig auf diese Siedlung gestoßen ist.«
Ordun packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn kräftig durch. »Sprich die Wahrheit!«, forderte er. Seine Stimme klang dunkel und grollend, und auf seiner Miene lag ein Ausdruck von Gewaltbereitschaft, der Carya erschreckte. Entweder spielte der Stammesführer den bösen Wilden sehr gut oder es gab eine Seite an ihm, die ihr bislang noch nicht aufgefallen war.
»Aber ich sage die Wahrheit«, behauptete sein Gegenüber.
»Niemand wandert einfach so durch die Wildnis. Wo ist deine Ausrüstung? Wie überlebst du ohne sie?«
»Ich … sie wurde mir geraubt.«
»Wer hat sie dir geraubt? Und wo?«
»Ich weiß es nicht«, jammerte der Mann. »Ich habe mich verirrt. Es war weiter südlich, glaube ich. Wilde … ich meine, Banditen auf Motorrädern haben mich überfallen.«
»Also auf der Handelsstraße?«
»Ja, ja, auf der Handelsstraße.«
»Warum bist du nicht dort geblieben? Wenn man Hilfe braucht, läuft man nicht in die Wildnis.«
»Ich … ich musste vor den Banditen fliehen. Querfeldein durch die Wiesen. Sonst hätten sie mich getötet. Und dann habe ich mich verlaufen.«
»Ich glaube dir nicht«, erklärte Ordun. »Die Handelsstraße ist riesig. Man sieht sie von überall. Außerdem hat dich keiner unserer Späher kommen sehen. Du hast dich angeschlichen und wusstest genau, wo das Dorf liegt!«
Als der Gefesselte daraufhin schwieg, schlug Ordun ihm mit der Faust ins Gesicht. »Wer hat dich geschickt? Wie lautet dein Auftrag? Wollt ihr uns wieder überfallen? Habt ihr noch nicht genug von uns getötet?« Er verpasste ihm einen weiteren Faustschlag.
»Ich sage euch gar nichts«, keuchte der Mann. »Ihr seid doch alle nur Barbaren.«
»Richtig«, bestätigte Ordun. »Und da du uns so gut kennst, weißt du sicher auch, was wir mit Gefangenen wie dir machen. Wir quälen sie. Weil es uns Spaß macht. Ah …« Der Stammesführer riss die dunklen Augen auf, wie ein Verrückter, der soeben eine großartige Idee gehabt hatte. Er drehte sich zu einem seiner Leute um. »Gebt mir den Skorpion.«
»Was hat er vor?«, fragte Carya Petas im Flüsterton. Sie spürte eine zunehmende Unruhe in sich aufsteigen. Ganz gleich, was Jonan sagte: Das Geschehen in dem Hinterzimmer erinnerte sie auf erschreckende Art und Weise an die Verhörmethoden der Inquisition.
Petas zuckte mit den Schultern. »Antworten erzwingen.«
Einer der Männer in dem Raum reichte Ordun ein ehemals durchsichtiges, aber mittlerweile furchtbar verkratztes Gefäß von der Größe eines kleinen Blumentopfs. Ein schwarzes Insekt, kaum handtellergroß, aber mit kräftigem, gedrungenem Körper und zwei großen Scherenarmen krabbelte darin herum.
Langsam näherte Ordun das Gefäß dem Gesicht des Mannes. Noch war es durch einen Deckel verschlossen. Doch der ließ sich jederzeit aufklappen. »Es heißt, früher waren Skorpione in unserem Land ungefährlich. Ihr Stich schmerzte, aber man starb nicht.« Er tippte mit einem Finger an die Wand des Gefäßes, und das schwarze Tier richtete drohend Schwanz und Scheren auf. »Aber der hier kommt aus den Todeszonen. Er ist voller Gift und unsichtbarem Tod. Ein Ungeheuer, sage ich dir. Er und seine Brüder brachten fünf unserer Männer und Frauen um, bevor wir lernten, sie zu meiden.« Ordun klappte den Deckel auf. »Ich denke, du wirst reden. Oder ich stecke dir den hier in dein Unterhemd. Ein Stich – und ein qualvoller Tod ist dir gewiss.«
Sein Begleiter reichte dem Stammesführer eine kleine Zange, und dieser holte den Skorpion aus dem Behälter hervor. Das Tier wand sich und zappelte mit seinen acht Beinen in der Luft. Es hatte offensichtlich Angst – und würde sicher zustechen, wenn es Gelegenheit dazu bekam.
»Aufhören!«, rief Carya und machte einen Schritt nach vorne. Petas wollte sie am Arm zurückhalten, aber sie schüttelte ihn ab. Sie betrat den Raum und baute sich vor Ordun auf. Ein Anflug von Unwillen huschte über das Gesicht des Stammesführers. Gleichzeitig wandte der Gefangene überrascht den Kopf. Es handelte sich um einen Mann mit schmalem Gesicht und brauner, wettergegerbter
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