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Im Schatten des Mondlichts - das Erbe

Im Schatten des Mondlichts - das Erbe

Titel: Im Schatten des Mondlichts - das Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.J. Bidell
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bleiben. Sie näherte sich und fuhr mit ihrem Körper seitlich an der Staude entlang. Die Äste gaben nach und trugen keine Stacheln, auch die Bürstchen fühlten sich weich an.
    Wenn sie durch das Unterholz Anlauf nähme, musste sie sehr hoch über diesen Busch springen, um an den Baumstamm zu gelangen. Die Übung auf dem unebenen Gelände stellte eine zusätzliche Herausforderung dar.
    Naomi nahm Anlauf, sprang ab und spürte schon im Anflug, dass sie zu früh abgesprungen war. Ihr Körper streckte sich und sie flog in hohem Bogen in Richtung des Eichenstamms. Trotz des steilen Sprungs streiften ihre Hinterläufe die in den Himmel gereckten Äste des Busches, sodass sie etwas an Schwung verlor. Mit den Vorderkrallen in den Baumstamm gekrallt, saß sie in der Buschkrone, deren Äste durch ihr Gewicht nachgaben. Es würde ihr nichts nützen, sich mit den Vorderpfoten am Stamm festzukrallen. Sie ließ los und versank mit einem Rascheln inmitten des Zylinderputzerbusches.
    Durch die hochstehenden Äste, die ihren Körper wie Gitterstäbe umringten, fühlte sie sich eingesperrt wie in einem Gefängnis.
    »Naomi?«, hörte sie Romina ganz in ihrer Nähe. »Wo zum Teufel steckst du nur?«
    »Ich bin hier«, antwortete Naomi und versuchte die elastischen Äste mit der rechten Pfote auseinanderzuschieben.
    »Was treibst du da drin?« Romina blieb direkt vor dem Busch sitzen. »Und wie bist du dort überhaupt hineingeraten?« Sie trat mit ihrer Pfote auf den Ast, den Naomi zur Seite schob.
    Naomi drückte mit ihrer Brust den nächststehenden Ast zur Seite und wand sich aus dem Gestrüpp. »Ich wollte klettern üben und bin zu früh abgesprungen.«
    »Komm mit und bleib auf der Lichtung.« Romina wandte sich ab. »Du weißt, wir müssen vorsichtig sein. Außerdem ist die Nacht vorüber.«
    »Warte, nur einen Versuch noch.« Naomi eilte an Romina vorbei und ignorierte Pilar, die hinter Romina zurückgeblieben war.
    »Lass den Quatsch«, erwiderte Romina.
    Ihre Urgroßmutter ignorierend, holte Naomi Anlauf, sprang einen Meter später ab, als bei ihrem ersten Versuch und flog steiler auf die Steineiche zu. Mühelos überwand sie den Busch, schlug ihre Krallen in den Stamm, wendete, stieß sich wieder ab und landete direkt neben Romina auf dem Waldboden.
    Mehr als im richtigen Winkel die Staude zu überwinden, wollte sie im Moment nicht beherrschen. Mit drei weiteren Sätzen hätte sie den Astkranz erklommen. Daran zweifelte sie nicht.
    Ihre Urgroßmutter knuffte sie in die Seite, als sie an ihr vorbeiging. »Sturer als ein Maulesel.«
    Naomi machte einen übermütigen Satz nach vorn. »Aber ich bin hochgekommen!« Mit erhobenem Kopf stolzierte sie an Pilar vorbei, die immer noch wie festgewachsen am gleichen Fleck stand.
    »Ja, bist du«, knurrte Romina und folgte ihr zurück zur Lichtung. »Irgendwann wirst du dir das Genick brechen!«
    Naomi blickte in den Himmel, an dem die Morgendämmerung heraufzog. »Nicht heute Nacht. Außerdem habe ich mir noch nie was gebrochen.« In diesem Moment kam ihr in den Sinn, dass das nicht stimmte. Deutlich hatte sie noch das knirschende Geräusch im Ohr, als ihr Trainingspartner ihr in Stillwater versehentlich die Nase gebrochen hatte. Deswegen hatte sie mehrere Tage eine Nasenklammer tragen müssen. Als sie Roman am drauffolgenden Tag zum ersten Mal begegnete, war ihr Gesicht mit Blutergüssen übersät gewesen. An ihr merkwürdiges Zusammentreffen dachte Naomi immer wieder gerne zurück.
    Sie trabte zu den jungen Kiefern, wo sie sich niederließ, um auf die Verwandlung zu warten.
    Aus dem Augenwinkel entdeckte sie Pilar, wie sie sich direkt neben Romina legte. Irgendwie kam sie ihr schutzbedürftig vor, was in Naomi einen Funken Mitleid aufflammen ließ. Sie war durchaus in der Lage nachzuvollziehen, wie schrecklich es für Pilar sein musste, Roman vor sich zu sehen und gleichzeitig zu wissen, dass er unerreichbar für sie blieb.
     
    *
     
    Auf der Heimfahrt sprach keiner ein Wort. Pilar gab offenkundig vor, auf dem Rücksitz zu schlafen, obwohl Naomi genau wusste, dass sie nur den Anschein erwecken wollte. Aus eigener Erfahrung konnte sie sagen, dass der Körper in der ersten Zeit nach der Rückverwandlung noch aufgepeitscht von der Nacht war. Romina spürte offenbar die Spannungen zwischen Pilar und Naomi, denn ihr Blick schweifte von der Straße ab in den Rückspiegel oder auf den Beifahrersitz. Naomi ignorierte Rominas Seitenblicke, weil sie keine Lust verspürte zu reden und grübelte

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