Im Schatten des Mondlichts - das Erbe
nicht auch Roman oder sie aus dem Weg räumen wollte? Immerhin hatte Pilar ihn verraten, und das würde er ihr nie vergessen. Auch Romina brächte sie dadurch in Gefahr.
Im Grunde wollte sie auch überhaupt nicht Naomis Tod. Sie sollte nur verschwinden, sie und ihr Kind.
Sammys Kind.
Vielleicht lag darin die Lösung ihres Problems.
Pilar hüpfte im selben Moment von der Fensterbank, als ein heftiger Donnerschlag die Fensterscheiben erzittern ließ. Der Regen setzte ein. Und trotz des Dämmerlichts schien ihr die Welt in schillernden Farben zu leuchten, denn ihre Entscheidung stand fest.
*
»Und, wie lief´s?«, fragte Romina, die in der Küche saß und gelangweilt in einer Zeitschrift blätterte.
Naomi gähnte. »Anstrengend trifft es ganz gut. Vor allem, weil ich kaum ein Wort verstanden habe.«
»Das kommt schon noch. Die Konjugation der regelmäßigen Verben ist kein Hexenwerk.« Romina sah zur Uhr. »Leg dich hin. Wir müssen bald los.«
»Romina, gibt es eigentlich eine andere Stelle im Wald, wo wir trainieren können? Thursfield findet die Waldlichtung ohne Probleme wieder.«
»Du glaubst doch wohl nicht, dass wir die letzten Male zu der alten Lichtung gefahren sind?« Ihre Urgroßmutter zog ungläubig die Augenbrauen hoch. »Dort säßen wir auf dem Präsentierteller! Nein, es gibt noch ein Waldstück. Es liegt weiter westlich auf dem Weg nach Montserrat. Wir müssen nur verdammt aufpassen, weil sich hin und wieder Wanderer dort herumtreiben. Es liegen mehrere Ortschaften am Waldrand.« Romina stand auf und stemmte die Arme in die Seiten. »Nur für den Fall, dass du mich irgendwann schlagen willst, solltest du dich jetzt besser ausruhen. Und keine Sorge, wir haben das schon im Griff.«
Naomi schob die Unterlippe vor und dachte kurz nach, bevor sie in ihre Wohnung hochging. Eigentlich hatte sie fragen wollen, ob Pilar mit auf die Lichtung käme, doch die Frage konnte sie sich schenken, denn wohin sollte sie sonst gehen? Bei Iker zu Hause bliebe sie nicht. Schließlich wohnte sie aus diesem Grund hier und nicht bei ihrem Vater. Zu arbeiten schien sie nicht, zumindest wusste Naomi nichts darüber. Wenn sie es sich genau überlegte, wusste sie nichts über Pilar, und es war höchste Zeit, das zu ändern.
*
Drei Stunden später verabschiedete sie sich von Roman, der Kai versorgte und sie in den Arm nahm. Naomi war überzeugt, er würde, wie bereits die Vollmondnächte zuvor in Deutschland, eine schlaflose Nacht verbringen. Stets hatte er aus dem Fenster gesehen und gewartet, bis sie wieder aus dem Wald nach Hause gekommen war.
Leandra hatte währenddessen ihre Mutter abgelenkt, damit dieser nicht auffiel, wie sich Naomi heimlich aus dem Haus schlich. Nur zwei Mal in den letzten Monaten war es notwendig gewesen, Luna ein Schlafmittel unterzumischen.
Ihre Großmutter fehlte ihr jetzt unglaublich. Bestimmt hätte sie einen Rat zu Pilar gefunden oder nach Lösungen gesucht. Zumindest hätte sie ihr zugehört, ohne über sie zu urteilen.
Aber Leandra käme erst in einer Woche.
Pilar und Romina warteten bereits am Wagen. Naomi drehte sich nochmals zu Roman um, der auf dem Treppenabsatz stehen geblieben war, und warf ihm eine Kusshand zu. Es fiel ihr schwer, sich abzuwenden und zu gehen. Doch es blieb ihr keine andere Wahl.
Iker nickte ihr aufmunternd zu, als sie einstieg. Sie küsste ihn auf die Wange, bevor er die Wagentür schloss und ihnen das Rolltor öffnete. Dass Pilar mit dem Rücksitz vorlieb nehmen musste, war das Einzige, was sie tatsächlich aufmunterte.
Auch wenn diese gehässige Denkweise nicht ihre Art war, so konnte sie trotzdem ein zufriedenes Lächeln nicht unterdrücken, als Romina mit dem Fahrzeug vom Grundstück fuhr.
Die Schnellstraße führte sie nach Nordwesten, an den zusammengewachsenen Ortschaften Collbató und El Bruc vorbei. Bei den Orten handelte es sich mehr um eine Ansammlung von Häusern, aber manche davon lagen tatsächlich sehr dicht am Waldrand.
Kurz danach bogen sie auf einen Waldweg ein.
Der Weg führte weiter in den Wald hinein und im Schutz tief hängender Äste stellte Romina den Wagen ab.
Schweigend marschierten sie los. Wenig später wandte sich Romina Naomi zu und deutete auf eine kleine Waldschneise.
Naomi ging darauf zu.
Die vielen Sträucher und die herabhängenden Äste der am Rand stehenden Pinien würden ein Training erschweren. Es gab nur wenig freie Fläche, die Kampfübungen zuließ. Einen wirklich hohen Baum, der die Lichtung
Weitere Kostenlose Bücher