Im Schatten des Mondlichts - das Erbe
erhalten.
Zwei Stunden später bummelte Naomi durch die Geschäfte des Madrider Flughafens. In drei Stunden säße sie in der Maschine nach Mexiko. Nachdem sie ihre Sonnenbrille vergessen hatte, suchte sie sich ein günstiges Modell in einem Souvenirshop aus und erstand dazu noch drei deutsche Zeitschriften, bevor sie sich zu ihrem Abfluggate begab.
Dort rief sie erneut Roman an, um ausführlicher mit ihm zu sprechen und ihm zu erzählen, was Karsten bisher herausgefunden hatte. Zuvor hatte sie mit Karsten telefoniert, der leider nichts Neues über uneheliche Kinder vor Martíns Eheschließung in den Unterlagen entdeckt hatte. Es war einfach nichts in den Büchern zu finden. Der Bibliothekar bestätigte aber Karstens Verdacht, dass Martín in seinen jungen Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit einige Kinder gezeugt hatte, wie dies in den oberen Gesellschaftsschichten durchaus üblich gewesen war. Aus Liebschaften entstandener Nachwuchs wurde von den verheirateten Frauen gewöhnlich dem eigenen Ehemann untergeschoben. Der ungewollte Nachwuchs mit den Frauen des Dienstpersonals oder aus anderen Liebschaften wurde verleugnet oder mit Geldzahlungen abgeglichen. Der Bibliothekar versprach jedoch, weiter nach Unterlagen über Martín Cortés zu suchen. Vielleicht fänden sich ja doch noch Aufzeichnungen.
Die restliche Wartezeit verbrachte Naomi mit Lesen oder versunken in Grübeleien, was sie in Mexiko wohl erwartete. Es war zwar mühselig darüber nachzudenken, doch sie bemerkte, dass sie sich nicht auf die Artikel in der Zeitschrift konzentrieren konnte. Lustlos blätterte sie weiter, bis ihr Flug aufgerufen wurde.
Die Maschine war nur zur Hälfte ausgebucht, was Naomi zwei freie Sitze neben sich einbrachte. Vielleicht würde sie doch schlafen können; zumindest würde der Flug angenehmer verlaufen, als gedacht. Als die Maschine beschleunigte, sauste die Umgebung geradezu an ihr vorüber. Das Flugzeug hob ab und schwebte dem Himmel entgegen.
Nachdem sie die normale Flughöhe erreichten hatten, lockerte Naomi ihren Gurt, zog die Beine an und legte sie schräg über dem Nachbarsitz ab. Gedankenverloren blickte sie aus dem Fenster, bis sie nur noch das offene Meer unter sich sah. Der Flug verging langsam und die Stunden krochen dahin. Einzig der Boardservice unterbrach die Langeweile für wenige Minuten. Nachdem sie das Pastagericht mit Tomatensoße und einen Salat verzehrt hatte, schob sie das Tablett auf die Ablage des unbesetzten Gangsitzes, lehnte sich an die Kabinenwand und stützte die Knie am Rücksitz vor ihr ab. Das Vokabelheft und die Grammatiktabelle auf dem Schoss lernte sie, bis ihr letztlich die Augen zufielen.
Naomi erwachte erneut, als ein Imbiss serviert wurde. Sie sah aus dem Fenster in die tiefschwarze Nacht. Der an der Kabinendecke angebrachte Bildschirm zeigte noch knapp zwei Stunden Flugzeit an.
Als die Flugzeit nur noch eine Stunde betrug, tauchten wie aus dem Nichts lang gezogene Lichterketten auf. Es schienen Orte zu sein, die an einen Hang gedrückt waren, zumindest erweckten die wie auf Perlenketten aneinandergereihten Lichter auf Naomi diesen Eindruck. Schon wenige Minuten später glitzerte unter ihr ein endloser Lichterteppich. Der Pilot erklärte in diesem Moment, dass sie mit dem Landeanflug auf Mexico City begännen. Naomi wusste zwar, dass diese Stadt gigantisch groß war, doch ein Lichtermeer von Horizont zu Horizont? Wie gerne hätte Naomi diesen Anflug bei Tageslicht erlebt. Eine Stadt dieser Größe konnte sich Naomi nur schwer vorstellen. Nun verstand sie, aus welchem Grund Brenda gemeint hatte, es sei zu gefährlich, alleine in ein Taxi in dieser riesigen Stadt zu steigen. Wer in dieser Stadt verloren ging, würde es vermutlich auch bleiben.
Nachdem das Flugzeug seine endgültige Parkposition eingenommen hatte, spürte Naomi ein nervöses Ziehen in der Magengegend. Selbst wenn sie nicht daran glaubte, dass diese Reise irgendwelche neuen Erkenntnisse brächte, spürte sie eine Aufregung, die sich fast mit ihrer Ankunft in Bangor vergleichen ließ. Es war ein Schritt ins Unbekannte; in eine fremde Welt. Die Situation hatte etwas Surreales. Eine Nonne würde sie zu einem Aztekenhäuptling bringen und nach Antworten suchen, die er ihr kaum geben konnte. Überhaupt brannte sie darauf zu erfahren, was sie letztlich hierher geführt hatte. Leandra hatte zwar versucht, ihr am Telefon alles zu erklären, doch diese Begegnung mit dem Häuptlingssohn und dem Jaguar im Dschungel
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