Im Schatten des Mondlichts - das Erbe
es stand jedem frei, zu heiraten und Kinder zu zeugen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass unser Martín vor seiner Ehe in Keuschheit gelebt hat.«
Naomi schloss ihr Vokabelheft, warf einen Blick auf die Uhr und erschrak. »Verdammt. Ich muss los, sonst verpasse ich das Flugzeug.« Hektisch stopfte sie ihr Handy, die Spanischunterlagen und ein angebissenes Brötchen in ihre Reisetasche. »Über Martín selbst hast du nichts gefunden?«
Karsten verneinte. »Vielleicht habe ich mehr Glück mit den anderen Büchern. Aber hey, was würde eine arme Pilgerin davon abhalten, sich dankbar ihrem Retter hinzugeben? Die Zeiten waren damals anders, und wenn ich mir ansehe, wie fleißig Martíns Vater war ...«
»Ruf mich an, sobald du etwas über irgendwelche dokumentierten Liebschaften herausgefunden hast, okay?« Naomi schulterte ihre Reisetasche. »Ich schnappe mir ein Taxi und rufe am Flughafen Roman an.«
»Pass auf dich auf.« Karsten drückte Naomi an seine Brust, küsste sie auf die Wange und sah sie mit ernstem Gesichtsausdruck an. »Melde dich, sobald du kannst, okay? Sollten wir nämlich zwei Tage nichts von dir hören, kommen wir dich holen. Verstanden?«
Sie wuschelte Karsten durchs Haar und lachte. »Schön zu wissen, dass mir mein persönliches Sondereinsatzkommando zur Verfügung steht. Aber ich pass schon auf mich auf. Keine Sorge.«
Elf
Das Taxi setzte Naomi am Flughafen ab. Nachdem sie eingecheckt hatte, eilte sie zur Flughafenkontrolle, wo sie ungeduldig darauf wartete, an die Reihe zu kommen. Direkt nach der Kontrolle zog sie ihr Handy aus der Tasche, suchte nach Leandras Telefonnummer und drückte auf die Wahltaste. Während des Verbindungsaufbaus hastete sie weiter zum Fluggate. Die Maschine würde in dreißig Minuten starten, und sie wollte noch vor ihrem Abflug wissen, wann Leandra, Romina und Brenda in Mexico City landeten, denn Naomis Maschine würde erst kurz vor Mitternacht auf dem Flughafen ankommen.
Nach dem dritten Klingeln nahm Leandra das Gespräch entgegen. »Hallo Oma. Und, wann werdet ihr landen?« Im Eilschritt suchte sie nach den Wegweisern zu ihrem Gate und entdeckte mit Erleichterung, dass es nur etwa einhundert Meter weiter zu ihrer Rechten lag. Sie verlangsamte ihre Schritte.
»Rennst du?«, fragte Leandra.
»Nicht mehr. Und?«
»Wir fliegen mittags los und landen um vier. Wir werden aber am Flughafen auf dich warten. Brenda meinte, es sei zu gefährlich dich alleine mit einem Taxi in die Stadt fahren zu lassen. Es sind jede Menge nicht lizenzierte Taxen unterwegs und die sind schwer von den offiziellen zu unterscheiden. Deswegen werden wir auf dich warten und zusammen ins Hotel fahren. Brenda wollte drei Zimmer reservieren, doch es waren nur noch zwei frei. In der Stadt ist irgendein Rockfestival und die besseren Hotels sind rappelvoll. Also müssen wir uns eben eines mit Brenda teilen.«
Die Flughafenansage forderte zum Einsteigen auf. »Oma, wir boarden gleich und ich will noch kurz Roman anrufen. Wir sehen uns dort, ja?«
»Guten Flug und bestell Roman schöne Grüße.«
»Euch ebenfalls guten Flug und danke, dass ihr auf mich warten wollt. Und wegen des Zimmers ... ich kann bei Brenda im Zimmer schlafen, falls es euch so lieber ist. Tschüss.«
Naomi legte auf und drückte die Kurzwahltaste, um Roman anzurufen.
Nach dem ersten Klingeln hörte sie ihn sagen: »Du sitzt noch nicht im Flugzeug?«
»Noch nicht. Aber gleich geht´s los.« Naomi reihte sich in die Schlange der Wartenden ein. »Du fehlst mir.«
»Ist alles okay? Du hörst dich niedergeschlagen an.«
»Mir graut nur vor der Reise. Zwölf Stunden eingesperrt in dieser Blechdose. Und das vermutlich für gar nichts. Wer behauptet, fliegen sei ein tolles Erlebnis, lügt oder fliegt zum ersten Mal. Es ist viel langweiliger als Busfahren. Da sieht man wenigstens etwas, wenn man aus dem Fenster sieht.«
»Versuch einfach, sobald du in Madrid umgestiegen bist, zu schlafen.«
Naomi brummte.
»Du musst dir nur deine Vokabeln vornehmen und ich verspreche dir, dann fallen dir sofort die Augen zu.«
Sie hörte Roman lachen. »Ja, ja, mach dich nur lustig über mich. Ich muss Schluss machen. Ich liebe dich. Und küss Kai von mir, ja?«
»Versprochen. Ich liebe dich auch.«
Naomi reichte der Stewardess die Bordkarte und ihren Ausweis, ging durch den Zubringerschlauch und suchte in der Maschine nach ihrem Platz. Mal wieder ein Gangplatz. Wenigstens hatte sie für den Weiterflug einen Fensterplatz
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