Im Schatten des Mondlichts - das Erbe
des Herrscherpalasts von Montezuma II seine neue Residenz. Ganz Mexico City steht auf Ruinen. Aus diesem Grund sackt auch die Kathedrale ab. Die Azteken sprechen von einem Fluch der Götter. Und vielleicht ist es auch so.« Brenda schob ihre Hände in die Hosentaschen.
»Vielleicht sollte diese Kathedrale niemals dort gebaut werden. Die Spanier gingen ja nicht gerade zimperlich mit diesem Volk um«, meinte Romina.
Naomis Körper durchfloss eine Kraft, die sie sich nach dieser langen Reise nicht erklären konnte. Sie warf Romina einen Seitenblick zu, doch diese betrachtete das Eingangsportal der Kathedrale.
»Da magst du recht haben. Doch heute ist es unsere Pflicht, diese Kirche zu erhalten. Sie war das erste katholische Gotteshaus, das in ganz Amerika gebaut wurde. Der Beginn des christlichen Glaubens.«
Naomi dachte amüsiert an das Armaturenbrett des Taxifahrers, wo ihm das Pin-up-Girl neben einem Heiligenbild den Tag erhellte. »Hast du nicht zu Romina und Leandra gesagt, die Azteken würden heute noch nach ihren Bräuchen und Riten leben?«
Brenda nickte zustimmend. »Es muss ein großartiger Anblick gewesen sein, als die Spanier Tenochtitlán erreichten. Der aztekischen Legende nach entsandten die Götter die Azteken aus dem Norden, um ein neues Reich aufzubauen. Sie sollten sich dort niederlassen, wo ein Adler mit gespreizten Flügeln und einer Schlange im Schnabel auf einem Kaktus sitzt und ihnen den Ort weist, an dem sie sich ansiedeln sollten. Ausgerechnet in einer moorigen Seelandschaft mit kleinen Inseln stießen sie auf den von den Göttern entsandten Adler. Wenn man die Legende beiseitelässt und auf die Geschichte zurückgreift, waren die Azteken ein vertriebenes Volk, welches, egal wo sie sich niederließen, vertrieben wurden, bis sie eines Tages hierher kamen. Da die Inseln vom Wasser eingeschlossen waren, lagen sie geschützt von der Außenwelt. Die Azteken verbanden die einzelnen Inseln mit Flößen, besser gesagt mit Pontons, die im Boden verankert waren und ihnen so einen festen Untergrund lieferten. Und so wuchs die Gemeinschaft, bis sie sich ein Imperium aufgebaut hatten und andere Völker unterwarfen.«
»Mit gefällt die Göttergeschichte besser«, sagte Leandra.
Naomi betrachtete die Flagge. »Den Mexikanern offensichtlich auch.« In der Mitte der dreifarbigen Flagge prangte ein auf einem Kaktus thronender Adler mit einer Schlange im Schnabel.
»Die sollte nachts überhaupt nicht dort hängen«, erklärte Brenda. »Die Flagge wird jeden Morgen von Militärmitgliedern gehisst und jeden Abend wieder heruntergelassen. Seit Jahren ist es ein Zeichen des Protests junger Aztekenmänner gegen die Regierung, eine Landesfahne verbotenerweise nach Einbruch der Dunkelheit zu hissen.«
»Und warum tun sie das?«, fragte Naomi.
»Früher kam es weniger häufig vor. Doch seitdem man versucht, die Kathedrale zu retten, und bei den Arbeiten Reste eines weiteren Aztektentempels entdeckt hat, wollen die Azteken durch Hissen der Fahne zeigen, dass dieser Platz eigentlich ihnen gehört. Immer noch werden sie zurückgedrängt und diskriminiert. Aus diesem Grund kommen die jungen Männer auch täglich auf den Platz. Geschmückt und herausgeputzt in ihrer früheren Tracht tanzen sie auf dem Zócalo. Die meisten Besucher denken, es sei eine Veranstaltung für die Touristen, doch der eigentliche Grund ist, auf sich und ihre Kultur aufmerksam zu machen. Ichtaca ist meist auch dort anzutreffen.«
Leandra gähnte. »Wollt ihr wirklich noch was trinken gehen? Mir reicht es für heute. Ich muss ins Bett.«
»Ja, lasst uns gehen«, befürwortete Romina Leandras Vorschlag.
Brenda nickte zustimmend. »Morgen wartet ein langer Tag auf uns. Etwas Schlaf wird uns gut tun.«
Zwölf
Am nächsten Morgen fühlte sich Naomi wie gerädert. Letzte Nacht hatte sich Brenda im Badezimmer bettfertig gemacht, und nachdem sie selbst das Bad verlassen hatte, lag Brenda bereits im Bett und schnarchte wie ein Holzfäller. Naomi hatte gehofft, noch mehr über Brendas Zeit als Missionarin zu erfahren. Das Zusammentreffen im Dschungel mit dem Häuptlingssohn, dessen exotischen Namen sie bereits wieder vergessen hatte und von der Begegnung mit dem Jaguar hätte sie gerne aus erster Hand erzählt bekommen. Ihre Gedanken kreisten um die Vergangenheit der Azteken und was sie in den nächsten beiden Tagen noch erfahren würde. Vorausgesetzt, Brenda fände diesen Häuptlingssohn auf dem Platz. Vielleicht ergab sich später am Tag noch
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