Im Schatten des Palazzo Farnese
dir?«
»Er sagt, daß er einen unbekannten kleinen Michelangelo in den Händen hatte. Er hat den Verdacht, das Ding könnte aus noch nicht erschlossenen Archivbeständen gestohlen worden sein, und denkt an die große Vaticana. Daraufhin hat er Lorenzo angerufen: Da Lorenzo im Vatikan arbeitet, könnte der vielleicht einem möglichen Schwarzhandel auf die Spur gekommen sein, so es einen gibt. Lorenzo hat Maria befragt, die in letzter Zeit aber nichts Besonderes in der Bibliothek bemerkt hat. Da hört die ganze Geschichte auch schon auf. Und trotz allem und obwohl es ihm ein Graus ist, kreuzt er in Rom auf, um sich das ›näher anzusehen‹. Mitten im Juni. Der reine Wahnsinn.«
»Vielleicht hat er nicht alles gesagt, vielleicht hat er eine konkrete Spur, einen Verdacht hinsichtlich eines seiner ehemaligen Kollegen. Vielleicht will er die Sache persönlich niederschlagen?«
»Warum hat er mir dann nichts gesagt?«
»Damit du das Wild nicht aufschreckst, indem du die Geschichte überall herumerzählst.«
Claudius verzog mürrisch das Gesicht.
»Nimm’s mir nicht übel, mein Lieber, aber du weißt genau, nach drei Gläsern erfaßt dich immer eine so generelle Rührung und nachsichtige Milde, und du tauchst ab in eine bessere Welt, in der du plötzlich alle Frauen begehrenswert und alle Männer reizend findest. Dazu neigst du. Vielleicht ergreift Henri einfach nur Vorsichtsmaßnahmen.«
»Also du glaubst nicht, daß er kommt, um mich wieder an die Kandare zu nehmen?«
»Nein. Kommt Lorenzo heute abend zu Gabriella?«
»Normalerweise ja. Es ist Freitag.«
»Ruf sie an. Wir besuchen sie, um unseren erzbischöflichen Freund zu begrüßen, und erfahren dabei vielleicht ein bißchen mehr. Sag ihr, daß wir bei ihr zu Abend essen.«
»Es ist Freitag, da gibt es bestimmt Fisch.«
»Na, wenn schon.«
Claudius ging hinaus, kam aber sofort zurück.
»Tiberius?«
»Ja?«
»Glaubst du, ich hätte mit Livia nicht Schluß machen sollen?«
»Das ist deine Sache.«
»Weißt du, daß ich mich durch die Frauen noch zugrunde richten werde?«
»Warum? Weil Kaiser Claudius von seiner dritten Gattin lächerlich gemacht und von seiner vierten ermordet wurde?«
Claudius lachte und zog die Tür zu, dann aber flüsterte er durch den Spalt:
»Der vierten Gattin, die niemand anderes war als die Mutter von Nero. Laß das nicht außer acht.«
Tiberius rannte zur Tür und rief in den Gang:
»Nero, der seine Mutter umbrachte als Preis für den Thron, vergiß das nicht.«
5
»Gabriella ist zu Hause, Monsignore«, sagte die Hausmeisterin mit einem Knicks.
»Ist sie allein?«
»Gerade sind ihre drei Freunde gekommen, Monsignore.«
Monsignore Lorenzo Vitellis Bischofsrobe stand in störendem Gegensatz zu dem Treppenhaus dieses heruntergekommenen Gebäudes in Trastevere. Aber Lorenzo Vitelli scherte sich nicht darum. Übrigens wäre niemand im Hause auf die Idee gekommen, ihm vorzuwerfen, daß er gegen seinen Rang verstieß. Jedermann wußte, daß der Bischof sich Gabriellas angenommen hatte, seit sie ein Kind war, und daß er ihr unermüdlich geholfen hatte, ohne je in irgendeiner Weise Zwang auf sie auszuüben. Ja, Gabriella hatte im beeindruckenden Schatten ihres Beschützers sogar eine bemerkenswerte Unabhängigkeit erlangt. Es hieß, er würde sie auf den Weg der Religion führen, doch Monsignore hatte ihr das nicht einmal nahegelegt. »Es ist nicht meine Aufgabe, die Seelen zu zwingen«, hatte Lorenzo Vitelli gesagt, »und Gabriellas Seele gefällt mir, wie sie ist.« Und der Bischof liebte diese Abende, die er mit Claudius, Tiberius (vor allem Tiberius, der ihm gefiel) und Nero bei Gabriella verbrachte.
Anfangs hatte er Vorbehalte gegenüber Claudius gehabt, dem Sohn seines alten Freundes Valhubert, aber schließlich war ihm der junge Mann ans Herz gewachsen. Mit Nero hatte er die meisten Schwierigkeiten: ein weiches Gesicht, ein prinzipienloser Geist, der auf eine künstliche,gesuchte Weise in Wallung geraten konnte, ein geborener Provokateur. Gedrängt von Henri Valhubert, hatte er zu Anfang vor allem Claudius bei seinen Studien geholfen, jetzt führte er die drei Jungen regelmäßig durch alle verborgenen Winkel der Vaticana. Seit mehreren Jahren war der Bischof den Verpflichtungen seiner Diözese weitgehend enthoben und in den Vatikan berufen worden, wo seine außergewöhnlichen Kenntnisse als Gelehrter und Theologe ihn in der großen Bibliothek wie auch im Kardinalskollegium unentbehrlich gemacht hatten. In der
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