Im Schatten des Palazzo Farnese
Klappe«, erwiderte Tiberius. »Komm, laß uns einen Kaffee trinken.«
Tiberius war erleichtert. Es wäre furchtbar für ihn gewesen, wenn sein lieber Nero Laura nicht gemocht hätte. Natürlich kannte er die exaltierte Begeisterungsfähigkeit seines Freundes, aber es bestand doch immer ein Risiko. Zum Beispiel hätte Nero einfach unentschieden sein können. Er hätte rein gar nichts verstehen und sagen können, ja, hübsch sei sie, aber nicht mehr jung, und es gebe so manches kleine Detail an ihr auszusetzen, sie sei alles andere als vollkommen – oder etwas in der Art. Aus diesem Grunde hatten Tiberius und Claudius so lange gezögert, bevor sie ihm Laura zeigten. Aber Nero verstand zu erkennen, was auf Erden etwas wert war.
»Nein, du kannst keine Frauen beschreiben«, erklärte Nero erneut, während er in seinem Kaffee rührte.
»Trink deinen Kaffee. Du nervst mich, wenn du so darin rumrührst.«
»Natürlich, du bist sie gewohnt. Du kennst sie, seit du klein warst.«
»Seit ich dreizehn war. Aber man gewöhnt sich nicht an sie.«
»Wie war sie früher? Schöner?«
»Meiner Meinung nach weniger schön. Sie hat eines von diesen Gesichtern, denen Erschöpfung gut steht.«
»Sie ist also Italienerin?«
»Nicht ganz, ihr Vater ist Franzose. Sie ist in Italien geboren und hat hier ihre gesamte, wohl ziemlich bescheuerte Jugend verbracht. Sie spricht fast nie darüber. Ganz offensichtlich waren ihre Eltern völlig verarmt, sie war so die Art Mädchen, die barfuß durch die Straßen von Rom laufen.«
»Kann ich mir vorstellen«, bemerkte Nero versonnen.
»In Rom ist sie auch Henri Valhubert begegnet, als er herkam, um an der École Française zu arbeiten. Sehr reich, verwitwet, mit einem kleinen Jungen, aber kein schöner Mann. Nein, Henri ist nicht schön. Sie hat ihn geheiratet und Rom verlassen, um in Paris zu leben. So was kann man nicht erklären. Es sind jetzt fast zwanzig Jahre her. Sie kommt ständig nach Rom, um ihre Familie zu besuchen, und auch andere Leute. Manchmal bleibt sie einen Tag, manchmal ein bißchen länger. Es ist schwer, sie lange am Stück für sich zu haben.«
»Du hattest gesagt, du magst Henri Valhubert?«
»Natürlich. Weil ich ihn gewohnt bin. Claudius gegenüber war er immer sehr streng. Seine Anfälle von Zärtlichkeit haben wir in einem Heft notiert, denn von Zeit zu Zeit hatte er welche, vor allem morgens. Laura steckte uns hinter seinem Rücken Geld zu und log für uns. Denn Henri Valhubert war gegen jegliche Art von unnützen Ausgaben. Hart ackern und leiden. Das Ergebnis: Claudius ist ein Faulpelz, und das macht seinen Vater vor Wut verrückt. Er ist kein einfacher Mann. Ich glaube, Laura fürchtet ihn. Eines Abends ist Claudius auf seinem Bett eingeschlafen, und ich mußte durch das große Arbeitszimmer, um nach Hause zu gehen. Da sah ich Laura, wie sie in einem Sessel saß und weinte. Es war das erste Mal, daß ich sie weinen sah, und ich war wie versteinert, da war ich fünfzehn, verstehst du. Zugleich war es ein außerordentlicher Anblick. Sie hielt ihr schwarzes Haar mit dem Handgelenk zurück und weinte lautlos, ihre Nasenflügel bebten, ein göttliches Bild. Es war das Schönste, was ich je in meinem Leben gesehen habe.«
Tiberius runzelte die Stirn.
»Es war mein erster Schritt in Richtung Erkenntnis«, fügte er hinzu. »Davor war ich dumm.«
»Warum weinte sie?«
»Ich habe es nie erfahren. Und Claudius auch nicht.«
4
Claudius klopfte kurz an Tiberius’ Zimmertür und trat ein, ohne eine Antwort abzuwarten.
»Du nervst«, erklärte Tiberius, ohne sich von seinem Schreibtisch abzuwenden.
»Ich vermute, du arbeitest?«
Tiberius antwortete nicht, und Claudius seufzte.
»Was bringt dir das?«
»Verschwinde, Claudius. Ich sehe dich beim Abendessen.«
»Sag, Tiberius, als du Laura vor zwei Wochen am Bahnhof gesehen hast, habt ihr da über mich gesprochen?«
»Ja. Also, nein. Wir haben von Livia gesprochen. Wir haben uns ja nicht lange gesehen, weißt du.«
»Wieso von Livia? Übrigens habe ich vor zwei Tagen mit ihr Schluß gemacht.«
»Du bist anstrengend. Was war denn an diesem Mädchen nun wieder falsch?«
»Sie war so bemüht.«
»Wenn sie verliebt sind, hast du Angst, wenn sie es nicht sind, bist du beleidigt, und wenn sie es nur ein wenig sind, langweilst du dich. Was suchst du eigentlich genau?«
»Sag, Tiberius, hast du mit Laura über mich gesprochen? Oder über meinen Vater?«
»Nicht einmal über Henri.«
»Dreh dich um, wenn du mit
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