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Im Schatten des Pferdemondes

Im Schatten des Pferdemondes

Titel: Im Schatten des Pferdemondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evita Wolff
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hatten mich zuvor schon weggejagt. Es bemerkte mich, und ich streckte meine Hand nach ihm aus. Es begriff, daß ich viel kleiner und schwächer war – daß ich ihm nicht weh tun konnte. Es hat mich gebissen, mehrmals. – Es hatte seinen Stolz verloren. Es war niederträchtig geworden.«
»Das hätte Sie eigentlich für immer von Pferden kurieren sollen«, meinte David nach einer Weile, in der alle geschwiegen hatten.
Eric konnte nicht einmal lächeln; die Erinnerung an dieses zerbrochene Leben war ihm auf einmal wieder zu nah. Denn ein intelligentes Geschöpf, ob Mensch oder Tier, dessen Willen nicht mehr ihm zu eigen ist, verliert sein Selbst und damit die Freude am Leben.
»Es hat ganz das Gegenteil bewirkt. Ich hatte ja gesehen, warum das Pferd so geworden war.«
»Es hätte ja auch schon vorher so niederträchtig gewesen sein können.«
»Das war es nicht. Ich hatte mich vorher mit ihm angefreundet.«
»Ich habe«, sagte David und fuhr sich mit einer plötzlich sehr müde wirkenden Bewegung über das Gesicht, »in meinem Beruf einen ganzen Haufen widerlicher Gäule kennengelernt. Ich denke, ich bin gut – ich kann Haltungsschäden ausgleichen und Spezialbeschläge anbringen für Querfeldein und so, aber mit manchen Pferden gibt's einen regelrechten Kampf. Ich hab immer gedacht, die sind einfach von Natur aus so. Ich muß oft ganz schön nachhelfen, damit sie sich beschlagen lassen.«
»Ich glaube nicht, daß ein Tier bösartig geboren wird; es sei denn, es gibt von vornherein ernsthafte Funktionsstörungen seines Hirns. Aber im Normalfall ist es bei Tieren wie bei Menschen: Sie werden durch Mißerfolg und Qualen und tiefgreifende Ereignisse verschiedenster Art hart und bitter und böse und ungerecht. Nur, Tiere äußern es auf andere Art. Sie können nicht zu uns sprechen, außer durch ihre Handlungen. Und weil sie größer oder einfach wehrhafter sind als Menschen, haben wir Angst vor ihnen und müssen sie fesseln und ihnen weh tun, bevor sie uns weh tun können – und dabei haben wir sie in vielen Fällen erst zu dem gemacht, was sie sind. Gerade Pferde sind von ihrem Naturell her hochanständige Tiere: Ein Pferd wird niemals auf etwas Lebendiges treten, das vor ihm auf dem Boden liegt, egal, wie aufgeregt es ist; es wird versuchen, das Hindernis zu umgehen oder über es hinwegzuspringen.«
»Das habe ich mal bei einem Turnier gesehen«, warf Claire ein. »Das Pferd hatte vor einem Hindernis gescheut, und der Reiter war über seinen Kopf geflogen. Dann sprang es aber doch noch, und irgendwie warf es sich dann in der Luft herum, als es merkte, daß der Reiter vor ihm im Gras lag – machte eine unbeschreibliche Bewegung, als würde es sich im Sprung auf die Seite drehen –, um nicht auf ihn zu treten.«
»Ebensowenig rennt ein Pferd einen Menschen um, der vor ihm steht: Wenn man ruhig stehenbleibt und die Arme ausbreitet und ihm beruhigend zuruft, bleibt es stehen; im schlimmsten Fall macht es kehrt, aber es rennt nicht einfach gegen das lebendige Hindernis. Mir ist noch nie ein Pferd begegnet, das einen Menschen angegriffen hätte, und ich habe, weiß Gott, sehr viele Pferde kennengelernt.«
»Wie kommt's dann aber, daß viele sich so schlecht beschlagen lassen?«
»Aber David, Sie sind ein Fremder, und Sie bringen allerhand Sachen herbeigeschleppt, die die Pferde ebenfalls nicht kennen. Dann ist da das Feuer, das Zurechtschlagen der Hufeisen, das Einschlagen der Hufnägel; wenn das Pferd davon auch nichts fühlt, aber es sind lauter fremde, beunruhigende Geräusche und Gerüche. Pferde sind Fluchttiere. Das ist ihre Natur. Kann ein Pferd aber nicht fliehen, muß es sich wehren.«
»Es heißt aber doch immer wieder, daß Pferde nichts vergessen«, beharrte David. »Da sollte man doch meinen, daß sie lernen, wie harmlos das Ganze eigentlich ist.«
»Woran sich das Pferd beim neuen Beschlagen erinnert, sind die Angst und das Unbehagen vom letzten Mal. So eine Art ...«, er suchte nach einem passenden Vergleich, »eine Art Zahnarztsyndrom.«
»Ach ...« David stocherte in seiner Pfeife. »Von der Seite habe ich die Sache noch gar nicht gesehen.«
Eric beschloß, daß dies eine gute Gelegenheit sei, um den Abend zu beenden. Er hätte den Whisky der Hickmans nicht auch noch trinken sollen, nachdem er bereits zwei Drinks mit Emily genommen hatte; und außerdem konnte es nicht schaden, wenn David noch ein wenig über das Zahnarztsyndrom nachdachte.
Er stellte sein Glas nieder, blinzelte zur Uhr auf dem

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