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Im Schatten des Pferdemondes

Im Schatten des Pferdemondes

Titel: Im Schatten des Pferdemondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evita Wolff
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sobald sie können. Nicht alle gehen so weit weg wie Davy, aber sie besuchen ihre Leute, die hiergeblieben sind, kaum öfter, als er uns besucht.«
»Das ist traurig«, sagte Eric.
David zog an seiner Pfeife. »Er ist jetzt vier Jahre weg. Wir versuchen, Kontakt mit ihm zu halten, wir schreiben ihm, wir rufen ihn an. Vor ein paar Monaten haben wir ihn zum ersten Mal besucht. Es war sein vierundzwanzigster Geburtstag. Wir kamen uns wie Hinterwäldler vor. Er nahm uns in Empfang, als würde er sich für uns schämen. Na ja, er war piekfein angezogen, und alle seine sogenannten Freunde auch. Claire und ich stachen schon ab mit unserer Kleidung, die bestimmt nicht der neuesten Mode entspricht – aber wir sind doch seine Eltern?! Na, es war eine lange Nacht, und keiner sprach mit uns. Nicht mal Davy.«
Er versank für geraume Zeit in Schweigen. Die starken Zähne bissen auf den Pfeifenstiel. »Zu besonderen Gelegenheiten, zu Weihnachten oder Geburtstagen – aber nur, wenn >er sich frei machen kann< – kommt er zu uns ...«
»Ja, Ihre Frau sagte, er besucht Sie ab und zu.« Eric war sehr verlegen.
»Selten genug.« David starrte finster über seine Pfeife auf den schwarzweiß gewürfelten Boden der weiträumigen Küche mit der niedrigen Decke. »Sagen Sie, Eric, wie oft besuchen Sie Ihre Leute?« Seine Stimme erhitzte sich, er wartete nicht auf eine Antwort. »Rufen Sie sie dann und wann mal an? Schreiben Sie ihnen, wenn's Ihnen nicht gut geht und Sie eine Last von der Seele haben wollen?«
»Ich ...«, er schob seinen Teller zurück und blickte sein Gegenüber sehr gerade an.
»Ich ... nun, David, ich habe keine Leute.«
Er hatte schon vor sehr langer Zeit gelernt, daß Drumherumgerede überhaupt nichts nutzte. Es war einfacher, den Gesprächspartner mit der Wahrheit zu konfrontieren. »Ich kenne meine Eltern nicht. Ich weiß nicht, ob ich Geschwister oder andere Verwandte habe. Ich bin gleich nach der Geburt in ein Heim gebracht worden; man gab mir dort, als ich ein wenig älter wurde und Dinge anstellte, wie kleine Jungs sie eben anstellen, gern zu verstehen, daß sich meine Erzeuger ganz zu Recht von einer Plage befreit hatten, als sie mich abschoben.«
»Gütiger Andreas!« David starrte ihn entsetzt an, und Eric empfand das Bedürfnis, ihn zu beruhigen: »Immerhin hatten sie – meine Eltern – den Anstand, mir einen Namen zu geben und ihre Stammdaten zu hinterlassen. Als ich alt genug war, hätte ich sie darüber vielleicht sogar finden können, aber ich glaube nicht, daß es viel Sinn machen würde.«
»Eric –«
»Entschuldigen Sie, David.« Das Lächeln schien unbeschwert, die dunklen Augen glitzerten. »Es tut mir leid, ich habe Sie abgelenkt. Sie wollten mir von Ihrem Sohn erzählen.«
David starrte ihn an. Er sah den Schatten hinter dem Lächeln und einen Herzschlag lang Verlorenheit in den Augen. Heftig klopfte er seine Pfeife aus, sein Geist durchflatterte eine Unzahl von Möglichkeiten; schließlich traf er seine Wahl und sagte gedehnt: »Ja – eines der drolligsten Dinge ist, es war Davy immer zu kalt hier. Ich meine, er ist hier geboren und aufgewachsen, und wir haben hier für Schottland dank des Golfstroms ein wirklich mildes Klima; aber immer fror er. Wenn er uns jetzt mal besuchen kommt, sieht er aus wie ein bißchen Spucke in einem Napf mit Hafergrütze, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Ja, denke schon.«
Wie konnte dieser Junge so ruhig sein? David sog heftig den Rauch in sich. Wie alt mochte er sein? Mitte Zwanzig, Anfang Dreißig – Zeit genug jedenfalls, um sich mit seinem Schicksal in gewisser Weise abzufinden und zu erkennen, daß sein Leben allein in seiner Hand lag. Und es hatte den Anschein, als habe er es sehr gut in der Hand.
Davids Augen studierten Erics Gesicht mit seltsamer Eindringlichkeit. Ihm gefiel, was er sah. Aufrichtigkeit und Kraft. Empfindsamkeit und Willensstärke. Sanftmut, und ebenso eine verborgene Intensität.
Claire kam mit einem Wäschekorb zurück, als David gerade dabei war, eine Whiskyflasche und drei Gläser aus dem Schrank zu holen.
»Setz dich, Claire«, sagte er, indem er die Gläser füllte. »Wir wollen auf den Helden des Tages trinken. Und nun: Hoch die Gläser!«
»Moment, David, nicht doch –«
»Denken Sie vielleicht, ich hätte erst von meiner Claire erfahren, was Sie heute für Billy getan haben? Ich schaute bei den MacKinnans vorbei, um zu fragen, wann ihre Pferde beschlagen werden sollen, und da erzählten sie mir von Maudie und dem Fohlen.

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