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Im Schatten des Pferdemondes

Im Schatten des Pferdemondes

Titel: Im Schatten des Pferdemondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evita Wolff
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weiten, rötlichen Nüstern, um den einen, diesen ganz eigenartigen Geruch unter den vielen herauszufiltern, die auf ihn einströmten. Mähne und Schweif bauschten sich um ihn, als der Wind heftiger vom Meer kam; sie verliehen seiner sich gegen das erste bleiche Licht abhebenden Silhouette die überwältigende Schönheit einer Statue, die plötzlich zum Leben erwacht.
    Sein großer Name paßte zu ihm. Sein wacher Verstand war so scharf wie eine Schwertschneide, und wenn Excalibur kämpfte, war jeder seiner Hufe eine ebenso tödliche Waffe, wie der edel geformte, stahlharte Kopf mit den geöffneten Zahnreihen es war. Er war intelligent und verständig, er wußte, was zu tun war, und er tat es zur rechten Zeit. Er war der geborene Leithengst. Er war bereit, für das, was er wollte
– prachtvolle Stuten, eine starke und zahlreiche Nachkommenschaft –, zu kämpfen, zu leiden, zu hungern und zu dursten; und zu sterben. Er wollte sie besitzen, sie beherrschen, sie als sein eigen wissen; und er war bereit, sie, wenn nötig, mit dem letzten Tropfen seines Blutes zu beschützen, gegen jede Gefahr, gegen jeden Eindringling auf seinem Grund.
    Schließlich verließ er seinen Posten, um auf den Hängen und im Tal in weiten Kreisen zu traben und zu galoppieren auf der Suche nach dem fremden, herausfordernden Geruch. Gerade als die Sonne sich langsam hinter einer großen dunklen Wolke erhob, jagte er mühelos wieder den steilen Hang hinauf, stand auf der Hügelkuppe in der gleichen Haltung wie zuvor. Seine Nüstern wandten sich dem Tal zu, in dem seine Stuten und ihre kleinen Fohlen grasten, und plötzlich erhob er sich auf die Hinterhand, zerschnitt mit den Vorderhufen die stille, rotbrennende Luft und schrie im Aufbäumen seine Herausforderung heraus.
    Es dauerte nur Bruchteile eines Herzschlags – so lange, wie der Schall benötigt, um den Raum zu überwinden –, da drang die Antwort in seine aufgestellten Ohren.
    Er ließ sich auf die Vorderhufe fallen, verharrte, warf den Kopf zurück und starrte über die im Sonnenaufgang purpurne Fläche des Atlantiks, dessen Wildheit und Kraft in seinen Adern floß. Was immer kommen mochte – er war bereit.
    Ein seltsam grell aus der tiefen Pferdebrust gerissener, lang hallender Schrei, mit dem ein Hengst seinem Herausforderer antwortet, ließ Eric aus dem Bett springen, bevor sein Bewußtsein überhaupt aus den Tiefen eines schweren Schlafes hervortaumeln konnte. Er stürmte im Pyjama, auf bloßen Füßen, die Treppe hinunter, vorbei an Claire und David Hickman, die in ihren Morgenmänteln schaudernd und verständnislos auf der Schwelle ihres Schlafzimmers standen, rannte zu dem Gebäude, das Lance ganz für sich hatte, und öffnete die Tür nur so weit, daß er gerade hindurchschlüpfen konnte. Atemlos tastete er nach dem Lichtschalter, und Lance drängte sich heftig gegen ihn. »Ist ja gut, alter Junge, schon gut.« Erics Stimme klang beiläufig, als er ihn zurückschob; wie die beschwichtigende Stimme einer liebenden Mutter, deren Jüngstes Alpträume hat. Aber er wußte, daß Lance eine ferne Botschaft empfangen und sie stolz und herausfordernd beantwortet hatte.
    »Ist gut, Junge, gut.« Würde die Kraft seiner Stimme ausreichen? Oder würde er ihm wieder eine Spritze geben müssen?
    Lance stand beinah unmerklich zitternd still, den hohen, kraftvollen Körper energiegeladen zusammengezogen, jede Faser gespannt, so daß er kleiner, runder wirkte. Er schnaubte und machte einige tänzelnde Schritte, dann stand er mit gerecktem Kopf still, offenkundig wartete er begierig auf eine erneute Herausforderung. »Lance!« warnte Eric. Er wußte, er würde Excalibur nicht hören können, denn er befand sich sehr wahrscheinlich nicht in der Nähe von Sunrise-House, sondern irgendwo weit draußen; die Reaktion des Hengstes vor ihm würde ihm verraten, ob Excalibur einen Hengst jenseits seines Territoriums bedrohte. Emily hatte gesagt, er habe das noch nie zuvor getan.
    Lances Ohren spielten unablässig. Aber es schien keine Herausforderung mehr zu kommen. Er entspannte sich schließlich, schnaubte in das Stroh und scharrte lässig. Eric redete ihm gut zu und gab ihm noch etwas Hafer. Und als die Katze wieder auf seinen Rücken sprang, schien es fast, als ob Lance lächle: er drehte ihr eine ganze Weile seinen feinen Kopf zu und ließ ihn dann zurückschwingen zu Eric, der ihn zwischen beiden Händen einfing und gegen seine Brust preßte: »Lance, du bist doch ein gescheiter Bursche. Laß es,

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