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Im Schatten des Pferdemondes

Im Schatten des Pferdemondes

Titel: Im Schatten des Pferdemondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evita Wolff
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unähnlich allen anderen, so aufrichtig in seiner Stärke wie in seiner Schwäche. Sie waren vom gleichen Stamm.

8

    Das Sonnenlicht flutete in staubigen Bahnen durch die hohen Fenster und die offene Flügeltür in den Stall. Neugierige Köpfe schoben sich zu beiden Seiten über die Boxentüren. Eric nahm langsam
    die Parade ab. Ohne Zweifel, diese Herde war eine Ansammlung von Juwelen. Er konnte sich kaum satt sehen. Aber es war Zeit, Solitaires Bekanntschaft zu machen.
    Über der dritten Box auf der linken Seite erschien kein Pferdekopf. Eric trat langsam und erwartungsvoll näher. »Da bist du also endlich, Solitaire«, sagte er leise. Die Stute warf bereits bei der ersten Silbe den Kopf hoch und sprang mit einem weiten Satz an die gegenüberliegende Wand. Sie zitterte. Eric verhielt sich ruhig und betrachtete sie durch die über der Futtermulde angebrachten Gitterstäbe.
    Solitaire trug ihren Namen zu Recht: Sie war wirklich einzigartig. Sie war kein Englisches Vollblut, sondern rein arabisch gezogen, schön wie ein Traum. Das staubdurchwirkte Licht überfloß sie und ließ ihr glattes, glänzendes Fell in einem anthrazitfarbenen Ton aufleuchten. Wie Excalibur war sie ohne das geringste Abzeichen. Mähne und Schweif waren von einem schimmernden Silber. Doch der Eindruck von überwältigender Schönheit wurde verdorben durch den krampfhaft hochgebogenen Kopf und die wie irre starrenden Augen, die das Weiße zeigten. Hätte er es nicht besser gewußt, wäre Eric auf die Diagnose Tetanus verfallen. Bei dieser schrecklichen Krankheit verkrampfen sich nach und nach sämtliche Muskelpartien, die Sinnesorgane werden überempfindlich, ein Lichtstrahl, ein Laut genügt dann schon, um das hilflose Geschöpf in veitstanzähnliche Krämpfe zu werfen.
    Als er wieder zu ihr sprach, drückte sie sich noch enger an die Wand und versuchte, daran hochzuklettern. Hilflos beobachtete er sie. Er fühlte ihre Angst so deutlich, als halte er ihr bloßes zitterndes Herz in seinen Händen, aber er fand keinen Weg zu ihr durch das Dickicht dieser Angst. Sein suchender, tastender Geist gelangte mühsam an die Oberfläche ihrer inneren Welt und stieß schon dort gegen undurchdringliche spiegelnde Wände, die die Furcht vor ihm einander zuwarfen und sie bis ins Endlose vervielfachten.
    Mit einem eisigen Gefühl im Magen wandte er sich um und verließ den Stall. Es war offensichtlich, daß sie nicht einmal den Klang einer menschlichen Stimme ertragen konnte. Warum hatte Emily auch dieses Phänomen für sich behalten? Allmählich sollte er sich an diese Geheimnistuerei gewöhnt haben. Jetzt war es wichtiger, über dieses noch nie dagewesene Phänomen nachzudenken. Langsam beruhigte Solitaire sich wieder, das Graben ihrer Hufe an der Wand hörte auf, und die Eismasse in seinem Magen begann zu schmelzen.
    Wenn er nun schwieg, »Pferd spielte«, sich ihr näherte, wie Pferde sich einander nähern? Er drehte sich um und ging äußerst behutsam auf die Box zu. Nervös warf sie den Kopf hoch und wich zurück zur Wand. Ihre Ohren waren flach an den Kopf gepreßt, die Nüstern blutrot. Er zwang sich dazu, es zu ignorieren. Als er sich am Türriegel zu schaffen machte, stampfte sie, steilte und schlug mit den Hinterläufen gegen die Wand.
    »Master Eric?« Edwards kurze, gedrungene Gestalt kam über die Stallgasse eilig auf ihn zu. »Sie wollen doch nicht in die Box gehen?«
    »Ruhe, um Himmels willen! Sehen Sie, was Sie angerichtet haben!« Er packte Edward am Ärmel und zog ihn ins Freie. Die Schläge der Stute brachten den Stall zum Vibrieren und verursachten zunehmend Unruhe unter den übrigen Stuten.
    »Kein Wort in Solitaires Nähe!« fauchte Eric wütend und lauschte angstvoll nach dem schnaubenden und wiehernden Chor hinter ihnen. Excalibur jagte in weiten Kreisen auf der Koppel umher, wie er es tat, wenn er seine Stuten zusammentrieb. Ab und zu blieb er mit einem Ruck stehen und wieherte gebieterisch, drängte gegen die Holzbohlen und stieg so hoch, als wolle er versuchen, sich hinüberzuziehen.
    Eric schloß schnell die Stalltüren und zog Edward weiter, bis sie außer Hörweite waren. Vom Haus her kamen Emily, Sir Simon und Grandpa auf sie zu, beunruhigt von dem Lärm.
    »Sie ist nicht nur eine Gefahr für sich selbst«, murmelte Eric fassungslos. »Die mischt die ganze Herde auf. Das wird das erste sein, was wir tun müssen, Edward – sie isolieren. Ich will lieber nicht darüber nachdenken, was geschieht, wenn wir es nicht tun.« Vor

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