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Im Schatten des Pferdemondes

Im Schatten des Pferdemondes

Titel: Im Schatten des Pferdemondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evita Wolff
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zurückkam, stand Solitaire gehalftert auf der Stallgasse, und Eric bürstete behutsam und gewissenhaft ihr salzverkrustetes Fell. David zog sich eine leere Kiste heran, stopfte seine Pfeife und tat ein paar erste paffende Züge, um die Glut zu erhalten. »Im Salon geht's noch hoch her«, berichtete er. »Die Fargus' und Edward gegen Turner. Ich beneide ihn nicht um seine Position. Es geht jetzt um die Zeit nach den drei Monaten. – Sie wollen nicht, stimmt's? Das ist der wahre Grund.«
»Ja.« Eric machte sich daran, Solitaires Mähne zu entwirren. »Ich hab kein gutes Gewissen, David. Turner trägt jetzt einen Kampf aus, der eigentlich meiner ist.«
David schmauchte genüßlich. »An Ihrer Stelle würd' ich mich nicht darüber beunruhigen, mein Junge. Ich meine, ich kenne Mr. Turner ja nicht weiter, aber er sieht aus wie einer, der nur etwas tut, wenn was für ihn dabei herausspringt. – Die Fargus' wollen Sie, und er will Sie. Was Sie wollen, interessiert keine der Parteien. Also können Sie sich erst mal zurücklehnen und abwarten. – Nebenbei, was wollen Sie eigentlich?«
Zum ersten Mal war Eric ganz kurz davor, einem anderen Menschen von seinem Traum zu erzählen. Er sah über Solitaires Rücken hinweg in das grundanständige Gesicht, in die klaren, humorvollen und verständigen Augen – sein Geheimnis wäre gut bewahrt. Er räusperte sich so nachhaltig, daß er husten mußte, räusperte sich nochmals und schwieg. Er fürchtete, einen Teil seiner Kraft zu verlieren, wenn er seine Vision offenbarte.
»Wie lange ist's wohl noch bis zum Vollmond?« fragte er und bürstete Solitaires Mähne.
Davids Blick ließ sein Gesicht los und richtete sich auf Solitaire, die mit neugierig vorgeschobenem Kopf nach dem fremden Tabaksduft schnupperte. »Eine nette kleine Stute«, sagte er gedehnt. »Eine richtige kleine Prinzessin. Tja, schätze, in drei Tagen können Sie ein Mondscheinpicknick mit ihr veranstalten. Dann sollte der alte Bursche in voller Pracht am Himmel stehen.«
Er hatte Verständnis für Erics Zurückhaltung, wie er überhaupt, eigentlich vom ersten Augenblick an, eine Nähe zu ihm empfunden hatte, eine Nähe, wie er sie niemals zu seinem eigenen Jungen gehabt hatte. »War's schwierig, ihr das Halfter überzustreifen?«
»Überhaupt nicht.« Eric ging auf das Ablenkungsmanöver ein. »Sie schlüpfte selbst rein, wie eine Alte.« Zärtlich kraulte er die Stute am Kinn. Sie schloß die Augen bis auf einen Schlitz und legte ihr Maul auf seine Schulter. Minutenlang war es still im Stall. Nur Davids leises Schmauchen war zu hören, ein gelegentliches Schweifwischen, wenn Solitaire nach einer vereinzelten Fliege schlug, und dann und wann ein kosender Laut von Eric, dunkel und leise wie ein Schnurren.
»Kommen Sie mit, David? Ich möchte wissen, wie sie sich draußen am Halfter aufführt.«
»Aye, sicher.« David leerte den Pfeifenkopf und trat gewissenhaft die Glutstückchen aus. »Kann ich was tun?«
»Gehen Sie besser nicht zu dicht ran. Man kann nie wissen.«
»Aye, das ist wahr.« Eine ganze Herde unbändiger, unberechenbarer Jungpferde sprang bei diesen knappen Worten in seiner Erinnerung herum.
Solitaire jedoch verhielt sich, als sei sie mit einem Halfter zur Welt gekommen. Sie folgte Eric, sobald er sich in Bewegung setzte, so daß er nicht einmal an der Longe zu ziehen brauchte, sie stand, wenn er stehenblieb, und als er auf der Koppel die Longe lang ausrollte und auffordernd schnalzte, trabte sie um ihn herum – nicht ungebärdig, wie junge, unerfahrene Pferde es im allgemeinen tun, mit hochgeworfenem bockigen Kopf und wilden Augen, mehr zappelnd als laufend –, sondern ruhig, gesammelt, gleichmäßig, wie ein gut geschultes Pferd. Eric schüttelte den Kopf, als er ihren Runden zusah. Unbegreiflich. »David«, sagte er, ohne den Blick von Solitaire zu nehmen, »würden Sie bitte Edward holen? Er wird wohl noch im Salon mit den Fargus' sein.«
»Sicher. Was soll ich ihm sagen?«
»Nichts weiter. Nur daß ich ihn bitte zu kommen. Er weiß dann schon Bescheid.«
Kaum erfaßten die weitblickenden Augen der Stute Edwards Gestalt am Kopf der Freitreppe, war alle Fügsamkeit dahin. Sie riß Eric die Longe aus der Hand und rannte blindlings über die Koppel auf den massiven Holzzaun zu. Ein einziger Schrei entschlüpfte ihr, es war ein Echo ihrer eigenen Schreie, als sie auf der Stallgasse wahnsinnig vor Angst herumgesprungen war. »Sie wird versuchen, durch den Zaun zu brechen«, flüsterte David neben Eric.

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