Im Schatten des Pferdemondes
»Sie wird sich umbringen – wir müssen etwas tun!«
»Nein«, war die ruhige Antwort. »Wir haben Hilfe, David, sehen Sie.«
Excalibur hatte zu grasen aufgehört, als die Stute aus dem Stall geführt worden war, aber er hatte sie nicht gerufen. Sie war von der Herde getrennt worden, weil sie etwas tun sollte, das mit dem Herdenleben nichts gemein hatte. Er hatte geschwiegen und beobachtet. Als die Stute kopflos gegen den Zaun zu rannte, begriff er die stumme Bitte, die sein Freund ihm beim Verlassen des Stalls über die Entfernung mitgeteilt hatte: Sei wachsam und zur Stelle, wenn es nötig ist.
Es war nötig: Zwei, drei mächtige Sätze quer durch die verwirrt auseinanderlaufenden Stuten, ein trommelndes Heranpreschen an den Zaun – er stellte Solitaire und hob sich auf die Hinterhand; langsam, drohend, urgewaltig. Solitaire stieg ihrerseits, aber es war kein Voranschnellen mehr in der Bewegung; bereits in der Aufbäumung wich sie vor ihm zurück.
Als sie dicht am Koppelzaun entlangraste, blieb der Hengst außen auf gleicher Höhe mit ihr; zuweilen schlug er drohend mit der Hinterhand gegen die massiven Planken, bis er sie so sehr eingeschüchtert hatte, daß sie in ihrer Not zu Eric lief und ihm ihr Halfter geradezu in die Hände drängte. Hier war doch Freundlichkeit und Wärme und Ruhe. Der Schrecken war nicht mehr zu sehen. Erschöpft und verstört drückte sie ihren Kopf gegen Erics Brust. Die kosende dunkle Stimme tröstete sie und beruhigte ihren aufgestörten Geist. Das Zittern der feinen Gliedmaßen ließ nach. Sie folgte der Stimme, die sie zum Stall zurückgeleitete, und stand steifbeinig auf der Stallgasse, während Eric ihr Fell trocknete und bürstete, und ihr Langhaar ordnete.
»Sie haben gewußt, daß der Hengst eingreifen würde.« David sprach in nüchternem Tonfall, um den Sturm von Empfindungen zu verbergen, der ihn während der angstvollen Sekunden durchtobt hatte. Mit zitternder Hand tastete er nach seiner Pfeife. »Sie haben's gewußt«, wiederholte er. »Woher?«
Eric brachte Solitaire in ihre Box und streichelte sie. Sie konnte jetzt nicht einfach alleingelassen werden.
»Woher wußten Sie's?« fragte David noch einmal.
»Woher – oh, ich bat ihn, seine natürliche Pflicht zu erfüllen. Andernfalls hätte ich sie auf freiem Feld niemals diesem Schrecken ausgesetzt. Ich hoffte zwar, sie werde Edward tolerieren, aber natürlich durfte ich mich keine Sekunde darauf verlassen, und 's war ja auch gut so. Ich mußte es aber versuchen, um zu erfahren, ob ihre heftige Reaktion an ihrer Anspannung liegt oder tatsächlich an Edward ... armer Kerl! Er wird sich jetzt noch elender fühlen.«
David ging darauf nicht ein: »Sie baten den Hengst? – Ich habe kein Wort gehört.«
»Nein.«
David vergaß seine Pfeife. »Wollen Sie sagen, daß Sie über Telepathie oder so was mit ihm in Verbindung treten?«
»Ich sagte nichts in dieser Richtung.«
David versank in tiefes Nachdenken. Schließlich sagte er: »Sie sprechen nicht zu ihm, und doch tut er das Richtige. Irgendwie erreichen Sie ihn – und nicht nur ihn, jetzt, wo ich darüber nachdenke. Gibt es einen Trick?«
Eric ordnete Solitaires Mähne mit den Fingern. Sie entspannte sich sichtlich und haschte nach einem Bündel Heu. »Keinen >Zaubertrick<, wenn Sie das meinen, David. Es ist eine Art... Strom, ein Fließen. Man könnte sagen, ich kann die Wellenlänge der Tiere erfassen und mich darauf einstellen.«
»Klingt ganz simpel. Kann es aber nicht sein, sonst könnt's ja jeder.«
»Es ist auch nicht einfach. Meistens kostet es sehr viel Kraft. Ein Tier, das aufgrund schlechter Erfahrungen unzugänglich geworden ist, kann nicht wie ein offenes Buch gelesen werden. Excalibur bildet eine seltene Ausnahme – er war nur ablehnend, aber nicht verstört. Das ist ein großer Unterschied.«
Solitaire hob den Kopf, stupste ein wenig Heu gegen seine Wange und ließ ihr kauendes Maul auf seiner Schulter ruhen.
»Sieht jedenfalls aus, als wären Sie in sie hineingekrochen, Junge. Die Kleine hat Sie gern.«
»Gern haben, Vertrauen, David – das ist nur der halbe Weg. Ich muß herausfinden, was sie so verstört hat, und darauf finde ich keine Antwort. Auch Solitaire gibt mir keine Antwort.« »Aber wenn Sie Pferden geistig, oder was auch immer es ist, so nahekommen können, daß Sie ihnen aus der Ferne befehlen, ähm ... sie bitten –«
»Dennoch kann ich nicht in das Wesen eines Tieres hineintauchen – auch ein Psychoanalytiker ist ja auf Äußerungen
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