Im Schatten des Ringes
seine weitaus größere Kraft gegen meine Geschwindigkeit und meine scharfen Krallen so gut wie nutzlos. Ich hätte ihn innerhalb von Sekunden völlig zerfetzen können. Der Ausdruck seiner Augen verhärtete sich, während er vor mir zurückwich, und als die Schnitte und Risse, die ich ihm zugefügt hatte, zu bluten begannen, bedeckte er sie mit der Hand.
„Ihr habt mich stets ermutigt, mich wie ein Mann zu verhalten“, meinte er langsam. „Ihr habt mir bestätigt, daß ich Euch in Intellekt und Gefühl ebenbürtig bin. Aber Ihr habt Euch geirrt, Heao. Ich bin Euch überlegen. Denn ich kann lieben, wo Ihr es nicht vermögt.“
Er wandte sich zum Gehen, und ich hielt ihn nicht zurück. Es tat mir bereits leid. Teon und ich hatten schon früher einige Mißverständnisse gehabt, jedoch war es niemals so wie jetzt gewesen. Ich hatte ihn immer zuvorkommend und voller Respekt gegenübergestanden, und unser gegenseitiges Vertrauen hatte sich im Laufe der Zeit vertieft.
Unsere Beziehung war eher die zwischen Freunden als die von Herr und Sklave. Welchen Nutzen hatte ich von einem gehorsamen Tier? Ich brauchte seine Augen, um meine Landkarten anzufertigen, und seinen wachen Geist, das Haus in Ordnung zu halten, wenn Baltsar und ich einmal nicht da waren. Ich legte sogar Wert auf seine Urteilskraft in ästhetischen Dingen, denn er hatte sich im Laufe der Jahre viel mehr an Wissen über die Möglichkeiten, Menschen eine Freude zu machen, angeeignet, als ich jemals wissen konnte. Ich lachte bedauernd. In seiner unglückseligen Position mußte er wissen, wie man den Menschen gefallen konnte, um zu überleben. Er täuschte sich selten, und wenn, dann waren seine Irrtümer nur geringfügig. Selbst in dieser Nacht hatte er nicht den vollkommen falschen Weg eingeschlagen. Aber wenn ich einem echten Freund gestattete, meine Leidenschaft zu entfachen, hätte ich ihn dann geschlagen, wenn er mit mir die Paarung vollziehen wollte? Ich kannte die Antwort, doch ich brauchte mich den Konsequenzen nicht zu stellen, denn plötzlich hörte ich das Klingeln und Klirren von Waffen. Krieger näherten sich auf dem Pflasterpfad unserem Haus.
Ich arrangierte mein Gewand und eilte zur Tür. Ehe ich den Riegel zurückschieben konnte, stieß Baltsar die Tür auf. Hinter ihm sah ich, wie einige seiner Leibwachen sich rund um den Eingang verteilten.
„Du trittst als Eindringling auf, und du störst“, begrüßte ich ihn voller Kälte, war dabei aber ziemlich nervös und unsicher. An der Haltung seines Schwanzes konnte ich erkennen, daß er mir keinen Höflichkeitsbesuch abstattete. Er hatte Angst.
Er schloß die Tür, schaute sich suchend nach dem Sicherheitsriegel um, den er bisher nur selten benutzt hatte, fand ihn in einer Nische, holte ihn und befestigte ihn an seinem Platz. Als er mich wieder anschaute, schlang ich mir meinen Schwanz um die Hüften, damit er durch kein Zucken meine Reaktionen verriet.
„Offensichtlich hast du die Neuigkeiten noch gar nicht gehört“, meinte Baltsar. Er verharrte, als er völlig automatisch sein Cape ablegen wollte. „Rellar ist tot.“
„Wann?“ fragte ich wie betäubt.
„Gestern nacht“, erwiderte er. Er schüttelte den Kopf. Traurigkeit machte sich in mir breit, ich fühlte mich schrecklich einsam. Ich verschränkte die Arme und wandte mich von Baltsar ab. Dabei überlegte ich, wie sehr sich meine Lage jetzt noch verschlimmern konnte. Es war beruhigend gewesen zu wissen – und das, obwohl meine eigene Familie sich gegen mich gewandt hatte –, daß Rellar immer noch auf meiner Seite stand. Sein Urteil war mir immer überaus wichtig gewesen.
Ich schaute Baltsar aus den Augenwinkeln an. Er hatte mir einen Gefallen getan, indem er mir die neuesten Nachrichten überbrachte, doch nun wünschte ich, er würde gehen. Ich hatte keine Lust, mich jetzt mit ihm abzugeben, und ich wußte, daß ich meine Wut über ihn nur noch kurze Zeit im Zaum halten konnte. Ich legte meine Ohren zurück, so daß sie sich an meinen Kopf schmiegten. Er bemerkte die Geste, verschränkte die Arme vor der Brust und fuhr fort: „Rellar wurde vergiftet.“
Meine Arme glitten auseinander, und meine Ohren stellten sich auf. „Vergiftet? Wie? Von wem?“
„Seine Sklavin, Manya, wurde dessen beschuldigt.“
„Manya!“ schimpfte ich. „Unmöglich. Sie war ihm treu ergeben.“ Ich ging zur Feuerstelle und spürte, wie sich eisige Kälte in meinem Körper ausbreitete. Manya und ihr Kind hatten friedlich mit Rellar
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