Im Schatten des Ringes
lange vernachlässigt.“
„Bitte“, sagte Baltsar. „Ich will dir etwas zeigen. Bitte.“
Normalerweise bettelte er nicht darum, daher nahm ich an, daß es ihm sehr ernst war. Ich begleitete ihn zu seiner Behausung.
Das, was ich mir ansehen sollte, war etwas, das nicht mehr da war … besser jemand. Ich spürte es sofort. Die Kurtisane war verschwunden! Der von ihr hinterlassene Geruch war alt, nur noch schwach wahrnehmbar, und an der Feuerstelle stand keine Kanne mit Kräutertee, und es war auch nicht für zwei gedeckt, was sie nur unter Murren um ein drittes Gedeck hätte erweitern müssen, wenn ich mitgekommen wäre. Auf den Ziegeln der Feuerstelle lagen keine bequemen Kleider und keine Behälter mit duftendem Öl, wie es üblich ist, wenn man sich für längere Zeit auf sein Beilager zurückziehen will.
Teon nahm uns unsere Reisecapes ab und verschwand in einem Nebenraum.
„Etwas ist anders“, stellte ich vorsichtig fest.
„Nur ihre Abwesenheit.“ Baltsar geleitete mich zur Feuerstelle, wobei er mir die Hand in den Nacken legte. Als ich mich niederließ, setzte er sich neben mich. Seine Hand glitt von meinem Nacken hinunter zu meinem Knie.
„Sie hat dich nicht erfreut“, meinte ich und bemühte mich dabei, meine Stimme nicht allzu glücklich klingen zu lassen.
„Im Gegenteil, sie hat mir sehr viel Freude bereitet“, widersprach Baltsar.
Ich biß mir auf die Zunge und nahm mir vor, keinen Ton mehr zu sagen, bis Baltsar mir von sich aus verriet, warum die Kurtisane ihn verlassen hatte. Meine Zunge war jedoch zu schlüpfrig, als daß meine Zähne sie lange genug hätten festhalten können. „Ich hatte angenommen, ihr beide wolltet schon bald Mann und Weib werden.“
Baltsar reagierte ausgesprochen kühl. „Ich habe ihr den Betrag für ein Jahr Dienst gezahlt, damit sie mich sofort aus meinem Versprechen entließ.“
Ich konnte nichts dafür, aber ich legte ihm meine Hand auf den Rücken und zerbrach mir nicht den Kopf darüber, ob er von meiner so unverblümten Reaktion schockiert war oder nicht. „Würdest du meine Werbung annehmen?“ fragte ich. „Oder ist es noch zu früh? Bist du traurig? Ich spüre nichts davon, aber vielleicht macht meine Freude mich blind. Bitte, sprich ganz offen.“
„Es ist seltsam“, erwiderte er und kam meinen Liebkosungen entgegen, „aber besonders nach einem heftigen Schmerz ist das Vergnügen überaus intensiv.“ Dann gaben seine Augen mir die ersehnte Antwort, und seine Hände reagierten mit ähnlichen Liebkosungen. Schließlich hielten wir uns ganz fest, und er flüsterte: „Wenn du nicht zu müde bist, könnten wir in den Tempel gehen und uns zu Helfern-im-Leben erklären lassen … das Ritual der Werbung umgehen. Ich bin es müde, immer wieder über neue Gründe für Expeditionen nachzudenken, damit ich einige Nächte mit dir allein sein kann.“
Ich lachte. „Ich glaube, im letzten Jahr habe ich noch mehr völlig überflüssige Karten angefertigt.“ Zärtlich massierte ich seine Wirbelsäule mit meinen Krallen, und bald schon spürte ich seine Zähne in meiner Schulter. „Zum Tempel können wir später immer noch gehen“, sagte ich. „Wo ist dein Lager?“
Er schnüffelte intensiv, seufzte und sagte dann: „Ich habe, was die richtige Zeit betrifft, immer nur Pech.“ Doch er half mir auf die Füße und führte mich in die angrenzende Kammer, die von einem schweren Duft nach zerstoßener Minze und süßem Moos erfüllt war und ein wohlgepolstertes Lager enthielt. Seine Finger kitzelten mein Rückgrat und glitten stetig nach unten. Ich war sicher, daß die Tatsache, daß ich nicht in Hitze war, überhaupt nichts ausmachte. Ich hatte recht.
Teil II
Das Jahr der Träume
12
Das Lexikon des Trommlers war ein altes Buch und erfreute sich vor allem in den Jahren nach den Landraff-Kampagnen besonderer Beliebtheit. Dialekte und Neologismen machten die Kommunikation oft sehr schwierig, aber die Tempeltrommeln wurden von jedermann im Königreich verstanden, denn das Lexikon war universell und keinen Veränderungen unterworfen. Dabei kam aber auch die Kreativität zu ihrem Recht, und zwar in den Namen der Leute, und man berichtete von Tempeltrommlern, die in der Lage waren, solche individuellen Namen tatsächlich in ihren Trommelrhythmen auszudrücken. Zum Beispiel war Baltsar der Wucherer, der Fischhändler und der Händler. Prinz Chel kannte man auch als den Skorpion oder den Steinbruch-Prinzen und erst seit kurzem auch als den Prinzen vom See,
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