Im Schatten des Ringes
menschliches Verhalten ansehen, und genauso verhält es sich wahrscheinlich auch mit den Erzählungen der Sklaven.“
Baltsar knurrte. „Deine Gefährten bei Akadem scheinen mit dir und Rellar aber nicht gerade einig zu sein. Wenn sie sich auf eure Seite stellten …“
Die derzeitige Situation machte mich gleichzeitig traurig und wütend. „Sie sind da sehr vorsichtig. Sie haben ihre eigenen Projekte, die gefährdet werden könnten, wenn sie sich hinter Rellar und mich stellten. Der König kommt erst in einigen Monaten zurück, und das heißt, daß Tarana hier das Regiment führt, weißt du? Unsere Politik hieß immer, sich zurückzuhalten und nicht aufzufallen, solange der König abwesend ist.“
„Und warum hast du diese Taktik nicht eingehalten?“ fragte Baltsar irritiert. „Warum ausgerechnet jetzt?“
„Ich habe mir den Zeitpunkt nicht ausgesucht“, erwiderte ich nicht weniger erzürnt, „und das weißt du genau. Tarana hat davon Wind bekommen und uns zur Rede gestellt. Hätten wir etwa über unsere Erkenntnisse schweigen oder gar lügen sollen?“
„Sie kümmerte sich neugierig um alles, was dich in irgendeiner Weise betrifft. Du hättest damit rechnen und dich darauf vorbereiten sollen.“
„Es schien fast so, daß ihre Aufmerksamkeit ausschließlich der Expedition galt. Wir dachten, sie wolle sich mit irgendeinem religiösen Argument dagegen wenden, und für diesen Fall hatten wir unsere Vorbereitungen getroffen. Rellar, Chel und ich legten uns auf jeden religiös begründeten Einwand gegen die Erforschung des Landes jenseits des Immernachtgebirges eine passende Entgegnung zurecht.“ Ich rutschte unbehaglich auf der Matte hin und her. „Ich sollte heute unseren Fall einer Versammlung aus Akademern und Hüterinnen vortragen.“
„Und jetzt kannst du nicht sprechen“, meinte Baltsar. Er hob die Augenbrauen in einem Ausdruck des Sarkasmus. „Ich würde sagen, daß sie deine Expedition und deine Ideen hinsichtlich der Sklaven und ihrer Herkunft in einem vom Tisch fegt.“
Ich fauchte halblaut. Baltsar hatte mit seiner Einschätzung der Situation vollkommen recht, und doch war ich nicht ohne Hoffnung und weitere Pläne. Ich brauchte einfach mehr Zeit, jedoch gefiel es mir nicht, daß er mir zweifelnd gegenüberstand.
„Die Gemeinde hat schon immer soziale Veränderungen gefordert“, sagte ich, „aber Akadem war wenigstens in der Lage, den Leuten Hoffnung zu geben und sie zu überzeugen. Du bist dafür ja das beste Beispiel! Du wurdest des Wuchers beschuldigt, bis Rellar intervenierte. Als schließlich die anderen Kaufleute ins Tafelland kamen, hatte die Gemeinschaft längst erkannt, daß unsere Agrikultur und der Handel darauf gerichtet sein müssen, Gold anzuhäufen. Akadem brachte eine Reihe von Unternehmern hervor, die dem Merkantilismus zum Aufschwung verhalfen, und die Leute murrten anfangs auch darüber. Wir rechnen mit Gegendruck, bis unsere Vorstellungen als richtig bewiesen sind.
Als ich noch ein Kind war, bedrängten die Leute Akadem, Neuerungen zu schaffen, die das Leben einfacher machten. Sie lachten, als die erste Windmühle versagte, aber es war ein leises, ein freundliches Lachen. Als wir schließlich Erfolg hatten und ein Schaufelrad schufen, das Koniferensamen zerquetschte, teilten sie unsere Freude über den Triumph“, erinnerte ich mich und schüttelte traurig den Kopf. „Nun können wir ihnen weder unsere Erfindungen noch irgendwelche sozialen Veränderungen anbieten, ohne ihr Mißtrauen zu wecken. Sind die Leute so verweichlicht und verdorben, daß sie sich der Veränderung widersetzen? Oder hat Akadem jegliche Daseinsberechtigung, seinen Nutzen für die Gemeinschaft verloren?“
„Nichts von beiden“, erwiderte Baltsar sehr ernst. „Es ist allein Taranas Schuld. Noch nie zuvor hatte eine Hüterin Kontrolle über einen Herrscher.“
„Die Träume“, sagte ich bitter. „Wenn sie ihre Träume wirklich in etwas weniger Trauriges verwandeln wollen, dann sollten sie Veränderungen in der Gemeinschaft fördern.“
Baltsar grinste verschmitzt. „Woher willst du wissen, daß die Träume nicht die Veränderungen begleiten, daß es nicht die Veränderungen sind, die uns ins Unglück stürzen?“
„Weil sie so viele Veränderungen unterdrückt haben, und die Stagnation hat ihre Träume überhaupt nicht verändert! Akadem pflegte stets zum Nutzen der Gemeinschaft zu wirken, doch nun hat die Gemeinschaft nicht mehr das Recht, selbst zu entscheiden, was nützlich
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