Im Schatten des Schloessli
Komma sieben Millionen in seine Privatkasse Mandate zugeschanzt oder Pensionskassengelder in ihre Firmen investiert hat.»
«Ich hab’s gehört.» Geigy verzog das Gesicht.
«Haben Sie auch gehört, was der Mann auf die Frage nach dem Motiv geantwortet hat?»
«Sie werden es mir bestimmt gleich verraten.»
«‹Wer einmal Geld bekommen hat, für den gibt es kein Zurück mehr.› Genau so stand’s in der Zeitung.»
«Sympathischer Zeitgenosse.»
«Sie sagen es. Da bekomme selbst ich Lynchgedanken.»
Der Viertelstundenschlag der reformierten Stadtkirche hallte über die Dächer.
«Und was sagen Sie zum Auftritt dieses Sarasin? Ernst nehmen oder nicht?»
«Schwer zu sagen. Auf dem Überwachungsvideo wirkte er äusserst verzweifelt. Ob verzweifelt genug, um Morton umzubringen? Ich weiss nicht. Falls doch: Wäre er wirklich so dumm, in die ASH zu kommen, Drohungen gegen den CEO auszustossen und ihn gleichentags abzumurksen? Für mich klingt das eher nach einem schlechten Fernsehkrimi. Zudem: Wird jemand tatsächlich wegen eines verweigerten Kredits zum Mörder?»
«Menschen haben schon wegen weniger gemordet.»
Unold zögerte. «So gesehen dürfte es in der Schweiz von potenziellen Mördern nur so wimmeln. Aber Sie haben recht. Dieser Mann in Genf, der unserer Alt-Bundesrätin eine Schwarzwäldertorte ins Gesicht gedrückt hat, gab der ‹Genfer Kantonalbank› die Schuld am Scheitern seines Nachtclubs. Und da Micheline Calmy-Rey vor ihrer Zeit als Bundesrätin im Verwaltungsrat der Bank sass –»
«Wir werden uns Thomas Sarasin auf jeden Fall vornehmen müssen.»
«Ich glaube, Sie können gleich damit beginnen.» Unold wies zur gegenüberliegenden Strassenseite.
«Ich werd verrückt. Was will der denn hier?» Geigy zog hastig eine Zehnernote aus seinem Portemonnaie und klemmte sie unter den Aschenbecher. «Kommen Sie!»
Als Geigy und Unold den geschwungenen Treppenaufgang zur ASH hinaufhasteten, schloss sich eben die automatische Schiebetür hinter dem schmuddeligen Anzug von Thomas Sarasin.
«Entweder er hat wirklich nichts mit dem Tod von Chris Morton zu tun, oder er ist abgebrüht bis zum Gehtnichtmehr», keuchte Geigy.
«Oder einfach nur verrückt.»
«Heute lasse ich mich nicht mehr so leicht abwimmeln!» Thomas Sarasins aufgebrachte Stimme war bis auf die Strasse zu hören. «Ich will zu Ihrem Chef, und zwar sofort! Ich will diesem Sauhund in die Augen sehen … Ich scheisse auf die Vernunft. Damit haben meine Familie und ich nicht gegessen … Nehmen Sie Ihre dreckigen Finger von meinem Arm! … Fünfzehn Jahre lang habe ich meine Hypothekarschuld fristgerecht abbezahlt … Wenn Sie mich nicht endlich zu diesem Hundsfott führen, schlage ich Ihnen auch noch gleich den Schädel ein!»
«Das lassen Sie schön bleiben.» Bernhard Geigy legte dem aufgebrachten Mann die Hand auf die Schulter.
Sarasin fuhr herum. Hätte Geigy nicht instinktiv zwei Schritte zur Seite gemacht, er hätte sich die dritte gebrochene Rippe seiner Karriere eingefangen. «Hueresiech, Sarasin! Sind Sie wahnsinnig geworden?»
Ehe sich Sarasin versah, lag er auf dem Boden, den rechten Arm auf den Rücken gedreht, Geigys Knie im Kreuz. «Kapitalistenschweine! Ihr steckt doch alle unter einer Decke!», heulte er.
Geigy verstärkte den Druck auf Sarasins Arm. Mit der Linken nestelte er seinen Polizeiausweis aus der Brusttasche seines Kittels und hielt ihn Sarasin unter die Nase. «Bernhard Geigy, Kripo Aargau. Können wir jetzt vielleicht vernünftig miteinander reden?»
Sarasins Muskeln erschlafften. Regungslos lag er auf dem blank polierten Fussbodenmosaik, ein wimmerndes Bündel Mensch.
Die Angestellte, die versucht hatte, Sarasin bis zu Geigys Eingreifen abzuwimmeln, atmete erleichtert auf. Die beiden Wachmänner, die die Szene auf dem Videomonitor verfolgt hatten und umgehend herbeigeeilt waren, als die Situation zu eskalieren drohte, blieben abwartend stehen. Ein pickliger Jüngling mit kurzen roten Haaren redete flüsternd auf die geschockte Frau ein, während sein graumelierter Kollege wild gestikulierend in ein schnurloses Telefon sprach. Ansonsten war die Schalterhalle leer.
Bernhard Geigy liess Sarasins Arm los und erhob sich. «Schon besser. Und jetzt werden wir uns wie zivilisierte Menschen unterhalten.»
«Ob es klug war, Thomas Sarasin gehen zu lassen?» Patrick Unold stand am geöffneten Fenster des Sitzungszimmers, das die ASH ihnen für das Gespräch mit Sarasin zur Verfügung gestellt hatte. Am unteren
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