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Im Schatten des Schloessli

Im Schatten des Schloessli

Titel: Im Schatten des Schloessli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Kahi
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hören.»
    Margrit Kägi schaute Geigy nachdenklich an. «Der Herr ist fern von den Gottlosen; aber der Gerechten Gebet erhört er», sagte sie schliesslich. «Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.»
    «Wir sind mitten am Suchen und Klopfen», entgegnete Geigy liebenswürdig. «Und sollte es nötig sein, schlagen wir auch die Tür ein.»
    * * *
    «Zum Glück haben die Behindertenverbände Sie nicht gehört, sonst hätten Sie jetzt eine Klage wegen Diskriminierung am Hals.» Unold liess die Schnalle des Sicherheitsgurtes einschnappen.
    «Johannes jedenfalls ist weder blind noch taub. Und leider auch nicht stumm.»
    «Sie scheinen nicht gerade ein Fan von ihm zu sein.»
    «Stellen Sie sich seine Schwester vor – nur zehnmal fanatischer.»
    «Du liebes bisschen.» Unold pfiff durch die Zähne. «Haben Sie ihre Stube gesehen? Sieben Kreuze mit dem leidenden Christus. Sieben! Und dann diese Pietà. Beinahe lebensgross.» Unold fröstelte.
    «Auch ich bin nicht blind», entgegnete Geigy trocken. «Ich denke aber, die Alte weiss tatsächlich nichts. Und ohne Computer kann sie auch die Briefe nicht geschrieben haben.»
    «Vielleicht hatte sie einen Helfer.»
    «Vielleicht.»
    «Vielleicht hat sie uns auch angelogen.»
    «Vielleicht.»
    «Mann, Sie ersticken ja beinahe vor Gesprächigkeit.»
    Den Rest der kurzen Fahrt bis zur «Aargauischen Spar- und Handelsbank» verlor keiner der beiden ein Wort.
    «Hat die ASH so früh überhaupt schon auf?», brach Unold das Schweigen.
    «Für uns schon. Der Herr Staatsanwalt hat unseren Besuch angekündigt.»

    Unold konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal im Innern einer Bank gewesen war. Seine Konten verwaltete er elektronisch, zum Einkaufen benutzte er eine Kreditkarte, und brauchte er doch einmal Bargeld, bezog er es am nächstgelegenen Geldautomaten. In der ASH mit ihren goldglänzenden Metallflächen, die den Reichtum geradezu ausdünsteten, und den beflissen-ernsten Gesichtern der Anzug und Krawatte tragenden Geschäftsleitungsmitgliedern fühlte er sich ähnlich fehl am Platz wie in Margrit Kägis katholischer Kammer des Schreckens. Zu sagen, er atmete auf, als er mit Geigy den Geldtempel kurz vor neun wieder verliess, war deshalb die Untertreibung des Tages. Zu Unolds Überraschung ging Geigy nicht zum Dienstwagen, der auf dem Kundenparkplatz der Bank abgestellt war, sondern steuerte eines der drei Stehtischchen des Strassencafés vis-à-vis an.
    «Und, was denken Sie?», fragte Geigy, nachdem die Bedienung ihnen die bestellten Latte macchiato gebracht hatte.
    «Diese Welt ist nichts für mich.»
    Bernhard Geigy stöhnte entnervt. «Ich meinte nicht Ihre Befindlichkeit.»
    Verlegen rührte Unold in seinem Kaffee. «Mich dünkt, Mortons Tod hat aufrichtige Betroffenheit ausgelöst», sagte er nach kurzem Nachdenken. «Und keiner der Anwesenden scheint auch nur im Mindesten mit der Todesnachricht gerechnet zu haben. Sollte jemand gewusst haben, dass Morton nicht mehr lebt, ist er ein verdammt guter Schauspieler.»
    Geigy nickte. «Sonst noch was?»
    « CEO einer Bank zu sein ist ein gefährlicher Beruf – jedenfalls wenn man die Anzahl Morddrohungen ernst nimmt, die im Lauf der Zeit zusammenkommt.»
    «Die Frage ist nur: Kann man sie alle ernst nehmen?»
    «Alle bestimmt nicht. Einzelne schon. Immerhin ist Morton jetzt tot.»
    «Wir müssen uns das Bankenmilieu auf jeden Fall näher ansehen. Angefangen beim früheren Arbeitgeber Mortons, der ‹Deutschen Unternehmenssparkasse›, über frühere Kunden und Geschäftspartner bis hin zum aktuellen Kundenkreis der ASH . Zwar hiess es schon in der Bibel: Die einen sagen, Gier ist eine Tugend; dabei ist sie die Wurzel allen Übels. Doch wirklich in der Bevölkerung angekommen zu sein scheint mir diese Ansicht erst jetzt. Und wenn man sieht, was in der Branche läuft, würde es mich nicht wundern, wenn dem einen oder anderen Moralapostel die Sicherung durchbrennt.»
    «Was heisst hier ‹Moralapostel›?» Unold nahm vorsichtig einen Schluck von dem dampfenden Getränk. «Mir kommt auch die Galle hoch, wenn ich an gewisse Auswüchse denke, die in der letzten Zeit publik geworden sind. Haben Sie den Prozess um den ehemaligen Anlagechef der Pensionskasse des Kantons Zürich mitverfolgt? Der bedauernswerte Mann verdiente gerade mal 375’000 Franken im Jahr. Existenzminimum. Wer könnte es ihm verübeln, dass er seinen Freunden gegen einen kleinen Zustupf von gut eins

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