Im Schatten des Schloessli
Befragung, das war eine persönliche Abrechnung.» Unold streckte sich nach der Infosäule, die schräg hinter ihm in der Ecke stand, zerrte eine der Broschüren aus dem Prospektfach, blätterte kurz darin herum und knallte sie vor Geigy auf den Tisch. «Hier!» Er presste den Finger auf die Bildlegende oben auf der Seite. «‹Menschlich im persönlichen Kontakt›. Oder hier: ‹Wir achten die Persönlichkeit und Würde jedes Menschen … treten freundlich, korrekt und hilfsbereit auf … streben nach Güte›.»
«Hueresiech, was regen Sie sich eigentlich so auf?» Geigy rüttelte am Schraubverschluss seiner Thermosflasche. «Wenn Sie schon die Imagebroschüre der Kapo zitieren, dann vergessen Sie die Seite neun nicht: ‹Die Arbeit der Kriminalpolizei beruht nicht nur auf Intuition, sondern vor allem auf beharrlicher Ermittlung und systematischer Denkarbeit. Oberstes Gebot›– hören Sie gut zu, Unold –‹oberstes Gebot der Kriminalpolizei ist die Suche nach der materiellen Wahrheit.›»
Es ploppte. Geigy seufzte erleichtert.
«Ich will euch ja nicht zu nahe treten, aber wir sind auch noch da.» Desnoyer riss eines der Ketchup-Tütchen auf, strich die rote Würzsosse auf eine Papierserviette und tauchte drei der goldbraunen Kartoffelstäbchen hinein. «Wenn ihr euren Disput also beenden oder uns einweihen würdet.»
«Sie hat mich an Olivia erinnert.»
Augenblicklich war es totenstill im Bunker.
«Die Winkelried. Sie sieht genau so aus wie Olivia bei unserer Hochzeit.»
Der Staatsanwalt fasste sich als Erster. «Nun», er hüstelte, «das kommt in der Tat überraschend. Gerade du müsstest doch am besten wissen, dass die private Meinung bei der Arbeit nichts verloren hat. Wenn du Berufliches und Privates nicht trennen kannst –»
«Tu dich doch gleich mit Gunnar zusammen und beantrage meine Demissionierung.» Geigy setzte die Thermosflasche an und schüttete den Inhalt geradezu in sich hinein. «Ich weiss genau, was ihr denkt: Der Alte ist unzumutbar, senil und – sprechen wir’s aus – ein Mörder. Und er schafft es nicht mal, seine Frau zu halten.»
Drückendes Schweigen folgte auf Geigys Ausbruch.
«Vielleicht solltest du wirklich über einen Urlaub nachdenken», liess sich Schnarrenberger schliesslich vernehmen.
«Urlaub.» Geigy biss in seinen Big Mac. Zähflüssig quoll die gelblich weisse Sauce aus dem Burger und floss ihm über die Finger. «Verdammte Schweinerei!» Er legte den Doppeldecker in die Schachtel zurück, leckte sich die Mayonnaise von den Händen und streifte den Rest der fettigen Sauce an einer Serviette ab. «Hat der Fingerabdruckabgleich was ergeben?»
Waren die Anwesenden über den Themenwechsel überrascht, liessen sie es sich nicht anmerken.
«Wie man’s nimmt.»
«Geht’s noch etwas ungenauer, Nathalie?»
«Keine der beiden Frauen ist aktenkundig, und bis jetzt lassen sich ihre Fingerabdrücke auch keiner der noch nicht identifizierten daktyloskopischen Tatortspuren zuordnen. Auch nicht jenen auf dem Bumerang. Es kann natürlich sein, dass sich ein Treffer ergibt, wenn sämtliche DNA -Spuren ausgewertet sind.»
«Nicht für die Rothpletz!»
«Ach ja? Ich bin echt neugierig, wie der Herr Staatsanwalt zu diesem Schluss kommt.»
«Erfahrung, nichts als Erfahrung. Ich habe mir die Aufzeichnung eurer Befragung angeschaut. Wenn diese Frau ihren Mann mit einem Bumerang erschlagen würde, dann wäre sie ganz bestimmt nicht so dumm, ihre Fingerabdrücke und ein Heer von Hautschuppen auf dem Holz zu hinterlassen.»
«Mit Dummheit hat das heutzutage kaum noch was zu tun. Ein Hautpartikel im Nanogramm-Bereich genügt, und wir haben das DNA -Profil des Täters. Ein Mensch müsste schon in einem Spurensicherungsanzug herumlaufen, um keine Spuren zu hinterlassen. Und nicht einmal dann könnte er hundertprozentig sicher sein.»
«Veronica Rothpletz würde auf jeden Fall nicht so viele Spuren hinterlassen, wie ihr sie gefunden habt.»
«Dieser Punkt lässt mir sowieso keine Ruhe», brachte Häuptlein nachdenklich vor. «Es scheint, als hätte der Täter nicht mal den Versuch gemacht, seine Spuren abzuwischen. Offenbar hat er noch nicht mal Handschuhe getragen. Das ist doch nicht normal.»
Geigy zuckte die Achseln. «Was ist schon normal. Handschuhe bei dreissig Grad im Schatten? Das war dem Täter wohl zu auffällig. Recht hat er. Und was das Abwischen angeht: Vielleicht war er in Eile. Oder er war zu unbedarft und hat gar nicht dran gedacht. Oder er ist sich sicher,
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