Im Schatten des Schloessli
dass seine Fingerabdrücke und sein DNA -Profil nirgends registriert sind. Vielleicht ist es ihm aber auch einfach egal, ob er entdeckt wird oder nicht.»
«Welchem Menschen ist es schon egal, ob er unter Mordverdacht verhaftet wird?»
Geigy wandte sich dem Staatsanwalt zu. «Einem, der nichts mehr zu verlieren hat, zum Beispiel.»
«Jetzt fehlt nur noch, dass du sagst, er hätte im Affekt gehandelt.»
«Warum auch nicht.»
«Muss ich dir ernsthaft erklären, was Mord im Affekt bedeutet? Wir haben mehrere Zeugen, die gesehen haben, dass Stephan Rothpletz nichts anderes getan hat, als über den Graben zu gehen. Wie sollte das einen anderen Menschen zu einer absolut unbedachten Handlung provoziert haben? Und das ausgerechnet mit einem Bumerang?»
«Was weiss denn ich? Ich habe Stephan Rothpletz nicht umgebracht.»
«Nimm’s mir nicht übel, Bernhard, aber wenn du wirklich an einen Mord im Affekt denkst, ist es höchste Zeit, dass du den Hut nimmst. Wird man bis aufs Blut gereizt, schlägt man zu oder man jagt seinem Gegenüber eine Kugel in den Kopf oder man springt ihm an die Kehle. Ich hab aber noch nie gehört, dass man ihm einen Bumerang an den Schädel wirft.»
«Weil die wenigsten im entscheidenden Moment einen zur Hand haben. Doch wenn es dich glücklich macht, vergiss den Affekt. Nimm dann aber bitte auch in Kauf, dass deine Rothpletz nur halb so unschuldig ist, wie du es gern hättest.»
«Sie war’s nicht! Die Frau hat Format. Wenn die mordet, dann mit Stil und ohne viele Spuren zu hinterlassen.»
«So langsam frage ich mich, wer euch allen ins Hirn geschissen hat», brummte Geigy ärgerlich. «Unold fordert mich fast zum Duell, nur weil ich die Winkelried befrage, und du siehst die Rothpletz als Unschuldsengel, ohne auch nur die Auswertung der Tatortspuren abzuwarten. Vielleicht solltet ihr euch mal an den guten alten Shakespeare erinnern: ‹Es gibt mehr Dinge im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt.›»
«Das sagt der, der Johannes die baldige Freilassung versprochen hat, obwohl er die Resultate der Fingernagelschmutz-Untersuchung kennt», bemerkte Unold.
«Gutes Stichwort», Schnarrenberger machte eine bedeutungsvolle Pause. «Wie ihr alle wisst, ist die positiv, was Morton angeht. Den Bumerang aber hat Johannes nicht angefasst.»
«Das ist ja wohl keine Überraschung.»
«Seit wann kannst du denn hellsehen?», entgegnete Geigy schroff.
Der Staatsanwalt gab sich keine Mühe, seinen Ärger zu verhehlen. «Der gute alte Shakespeare sagte übrigens auch: ‹Der Teufel kann sich auf die Heilige Schrift berufen.› Vielleicht solltest du dich daran erinnern!»
«Mit den beiden Frauen bin ich jedenfalls noch nicht fertig. Meinetwegen mögen sie noch so viel Stil haben, beweisen tut das nicht das Geringste. Wer sich selbst nicht die Finger schmutzig machen will, findet immer einen Dummen, der die Drecksarbeit für ihn erledigt. Und nur zu deiner Information: Dieser Ausspruch stammt nicht vom guten alten Shakespeare.»
* * *
«Wenn Sie sonst schon nicht mit mir reden, sagen Sie mir wenigstens, was wir hier sollen?» Unold stand abwartend neben Geigy im Erdgeschoss der Stadtbibliothek und blickte der Brünetten nach, die sie murrend eingelassen hatte. Er konnte der Frau ihre Unfreundlichkeit nicht verübeln. Zitierte man ihn an seinem freien Tag an seinen Arbeitsort, würde er auch nicht gerade jubilieren.
Obwohl seit mehr als vierzig Jahren hauptsächlich von Büchern bewohnt, konnte das herrschaftliche Barockhaus mit seinem Walmdach und den beidseitigen Freitreppen, die über eine vorgelegte schmale Rampe zum Haupteingang führten, seine mehr als zweihundertjährige Vergangenheit nicht verleugnen. Allein die Innentreppe, leicht geschwungen, mit dem schmiedeeisernen Gitter und der gedrechselten Balustrade, liess Unolds Herz höher schlagen. Für einmal verstand er, warum die Behörden ein Gebäude unter Denkmalschutz gestellt hatten. Dabei grenzte es an ein Wunder, dass es das «Hübscherhaus» überhaupt noch gab. Ende der sechziger Jahre hatte einer die glorreiche Idee gehabt, an seiner statt ein Warenhaus errichten zu wollen. Gewöhnlich rückte in solchen Fällen die Abrissbirne an. Bei der alten Villa aber legte man Schienen und verschob sie um fünfzig Meter an ihren jetzigen Standort. «Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein grosser für ein Haus.»
«Sonst geht es Ihnen gut?»
Verlegen wandte sich Unold ab. Offenbar hatte er laut gesprochen. Doch da es
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