Im Schatten des Schloessli
Wasserkaraffe und zwei Gläsern zurück. Hatte sie gehofft, dass der Polizeibeamte seine Fragen inzwischen vergessen hatte, sah sie sich sogleich eines Besseren belehrt.
«Verteilungsgerechtigkeit, ein übles Wort für eine nicht existente Sache.» Geigy goss sich Wasser ein und leerte das Glas in schnellen Schlucken. «Das war alles? Keine Streitigkeiten mit seiner Frau zum Beispiel?»
«Seiner was?» Entgeistert starrte Flora erst auf Geigy, dann auf Unold.
«Sagen Sie nicht, Sie wüssten das nicht.»
«Stephan war verheiratet?»
«Frau Winkelried, meinen Sie nicht, es wäre an der Zeit, uns reinen Wein einzuschenken?»
Flora sah flehend zu Unold. Der wandte betreten den Blick ab.
Geigy hieb die Hand auf die Theke. «Jetzt tun Sie doch nicht so verdammt unschuldig!»
« Porca miseria , was fällt Ihnen eigentlich ein?»
«G-g-genau, w-w-wie reden Sie denn mit der Flora!»
«Sie halten sich hier raus, sonst –»
«S-s-sonst was?»
«Schon gut, Alain. Die Polizei tut ja nur ihre Pflicht.»
«A-a-aber dabei muss sie doch nicht gleich a-a-ausfällig werden.»
«Nein, das müsste sie tatsächlich nicht. Aber ganz offensichtlich sind die Polizeibeamten heutzutage entweder feige», sie sah demonstrativ an Unold vorbei, «oder cholerisch.»
Geigy schnaubte. «Es ist nun mal eine Tatsache, dass sich Täter und Opfer in siebzig Prozent aller Tötungsdelikte bereits vor der Tat kannten. Daher ist es nur logisch, wenn wir zuerst den Familien- und Bekanntenkreis Ihres Freundes durchleuchten.»
«Ach so ist das, ich werde durchleuchtet.»
«Gopfriedstutz, Sie wollen doch auch, dass wir den Mörder Ihres Freundes finden, oder etwa nicht? Ich gebe allerdings zu, dass bei männlichen Opfern die Tat am häufigsten nicht von der aktuellen oder ehemaligen Partnerin ausgeübt wird, sondern von einem Mann: einer Arbeitsbekanntschaft, einem Kollegen, einem Nachbarn, von mir aus auch vom grossen Unbekannten.»
«Holla die Waldfee, wenn unsereiner nicht aufpasst, wird er am Ende noch verhaftet. Immerhin sind wir alle männlich», rutschte es Kurt Bretscher heraus.
«Und unser Vincenzo ist noch Ausländer. Verdächtig, höchst verdächtig.»
«Also hör mal. Erstens habe ich den Schweizer Pass, weisch. Und zweitens bringe ich keine Leute um. Noch nicht mal Banker. Und erst recht nicht Floras Freund.»
«Männer töten ihre Partnerinnen, um sie zu behalten. Frauen töten ihre Partner, um sie loszuwerden», liess sich Geigy nicht beirren. «Wollten Sie Ihren Freund loswerden?»
«Wie bitte?»
«Wollten Sie ihn liquidieren, beseitigen, ausschalten, wenn Sie lieber mögen.»
Aus Floras Gesicht wich jede Farbe.
«Lassen Sie’s gut sein. Ich glaube nicht, dass Frau Winkelried –»
«Ich dachte, die Sache mit dem Glauben hätten wir ein für alle Mal geklärt», fuhr Geigy Unold an. Und zu Flora gewandt: «Vor uns brauchen Sie sich nicht zu schämen. Jede andere an Ihrer Stelle hätte dasselbe gedacht.»
«Was hätte jede andere an meiner Stelle gedacht?»
«Na was wohl? Dass ihr Freund zu seiner Frau zurückkehrt. Er hat sie regelmässig gesehen, hat mit ihr geschlafen, da liegt es doch auf der Hand, dass er sich letzten Endes für sie entscheidet. Immerhin war er mit ihr verheiratet.»
«Das ist nicht wahr!» Flora packte Geigy an seinem Hemd.
«Was soll nicht wahr sein?» Jetzt war es Geigy, der nachfragte.
«Dass Stephan mit einer anderen geschlafen hat.»
«Und ob das wahr ist. Das wusste sogar der Verfasser der anonymen Briefe.»
Als hätte sie sich die Finger verbrannt, liess Flora Geigys Hemd fahren. «Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Von welchen Briefen sprechen Sie?»
«Ist ja allerliebst. Die Unschuld vom Lande.» Geigy lächelte. Dann raunzte er unvermittelt: «Die, die er in den letzten Tagen erhalten hat.»
«Ich weiss von keinen Briefen.»
«Haben Sie darüber etwa auch nicht gesprochen?»
Schweigen.
«Haben Sie überhaupt miteinander gesprochen?»
Schweigen.
«Und da wundern Sie sich noch, dass wir auf den Gedanken kommen, Sie könnten Ihren Freund umgebracht haben?»
«Sie», korrigierte Unold seinen Vorgesetzten.
Geigy drehte verständnislos den Kopf.
«Sie kamen auf den Gedanken, Frau Winkelried könnte ihren Freund umgebracht haben.»
Flora tat einen tiefen Atemzug. «Danke, aber die Nummer ‹guter Polizist – böser Polizist› können Sie sich sparen.»
Unold schwieg gekränkt.
«Sie hatten Angst, Stephan würde zu seiner Frau zurückkehren. Dann stünden Sie nicht nur
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