Im Schatten des Schloessli
nach allem, was geschehen war, auch nicht mehr darauf ankam, ob Geigy ihn auch noch für verrückt hielt, schenkte er sich eine Erklärung. «Warum gelb?», fragte er stattdessen.
«Wie?»
«Die Infotafel zur zweiten Etage. Warum ist sie gelb? Die drei anderen sind alle weiss.»
«Glauben Sie mir, im Augenblick haben wir wahrlich andere Sorgen.»
«Wie wäre es, wenn Sie mich einweihen würden? Solange Sie sich wie das Orakel von Delphi verhalten und auf ein günstiges Omen warten, um Klartext zu reden, müssen Sie sich nicht wundern, wenn ich mich in die Unerklärlichkeiten des Alltags vertiefe.»
Geigy schwieg. Missmutig sah er auf die Uhr.
«Worauf warten wir eigentlich?»
«Gunnar.»
«Norberg?» Unold war ehrlich überrascht.
«So viele Gunnars gibt’s ja wohl nicht.»
Unold drehte sich um und trat dicht an Geigy heran. «Sie sind ein verdammter Sturkopf, Geigy. So können wir nicht zusammenarbeiten.»
«Wer sagt denn, dass ich mit Ihnen zusammenarbeiten will?»
In diesem Augenblick wurde der Haupteingang aufgerissen. «Sieh mal einer an, Bernhard. Lassen Sie dich noch immer auf die Menschheit los? Und dein … was war das noch gleich? … Praktikant, ist auch noch da. Der ist härter im Nehmen, als ich gedacht habe. Soll ich mir noch schnell ein Cold Pack besorgen, falls er sich wieder bemüssigt fühlt, deine Ehre zu verteidigen?»
Geigy verzog keine Miene. «Nach dir, Gunnar. Im zweiten Stock. Ich denke, es reicht, wenn du deine Visage oben verhüllst.»
«Rothpletz wurde von der Stadtbibliothek aus …?», fragte Unold leise, als er hinter Norberg und Geigy die Treppe emporstieg. «Wie kommen Sie denn darauf?»
«Die Rechtsmedizin.»
«Aber wieso –»
«Weil sich aus der Lage der Leiche und der Form der Quetschwunde am Hals berechnen lässt, woher der Bumerang gekommen sein muss.»
«Auch die Kriminalistik ist nicht in der Steinzeit stehen geblieben – im Gegensatz zu einigen ihrer Vertreter», warf Norberg dazwischen.
Mittlerweile hatten die Männer das zweite Obergeschoss erreicht. Während Norberg sich für die Untersuchung des Tatorts einkleidete, gingen Geigy und Unold bis zum Ende des Korridors. Geigy hielt kurz inne, dann betrat er den Raum, der den Korridor abschloss. «Seit Freitag sind so viele Menschen hier gewesen, da kommt es auf zwei mehr oder weniger auch nicht mehr an», erklärte er, als er Unolds Zögern bemerkte. «Ein Mord an einem gut frequentierten öffentlichen Platz – der Alptraum eines jeden Kriminaltechnikers.»
«Aber sollten wir nicht gerade deshalb –»
«Vergebene Liebesmüh. Zwar würde uns auch dieser Tatort zum Täter führen, wenn wir ihm die richtigen Fragen stellten; aber finden Sie mal die entscheidende Spur vor lauter Fingerabdrücken, Haaren und Hautpartikeln. Nein, den Raum als Ganzen können wir vergessen. Unsere einzige Chance sind die Fenster.» Während er sprach, sah sich Geigy aufmerksam im Zimmer um. «Sprachen lernen Sprachen lernen Sprachen lernen …», verkündete ein kursiv gesetzter Endlosschriftzug auf der Fussleiste der hellen Regale. Dabei machten die knallgelben Bände mit dem hellblauen L auf dem Buchrücken alles klar. Geigy reckte den Hals und trat etwas näher zum Fenster.
«Bleibt ja vom Fenster weg!» Bis zur Unkenntlichkeit verhüllt bahnte sich Norberg zwischen Unold und Geigy seinen Weg. «Sosehr es mich auch freuen würde, dich aufgrund der sichergestellten Spuren hinter Gitter zu bringen, den wahren Täter festzunageln geht trotz allem vor. Hab schliesslich so was wie eine Berufsehre.»
«Dass du dich überhaupt traust, das Wort Ehre in den Mund zu nehmen.»
«Ich nehme noch ganz anderes in den Mund –»
«Perverser Mistkerl!»
«So leidenschaftlich plötzlich? Ich erkenne dich gar nicht wieder.»
«Übertreib es bloss nicht!»
«Keine Angst. Dein jetziger Zustand ist zwar ausgesprochen faszinierend, aber meine Arbeit ist wichtiger. Ist das das Abwurffenster?» Norberg wies mit der behandschuhten Hand auf das zweiflüglige Sprossenfenster an der Stirnseite des Raumes.
«Laut den Berechnungen der Rechtsmedizin, ja. Oder das da drüben.» Geigy zeigte nach rechts auf den angrenzenden Raum.
«Alles klar. Am besten, du wartest draussen, bis ich hier fertig bin. Kein normaler Mann arbeitet gern mit dem Ex seiner Flamme im Nacken.»
«Du –»
«Warum hören Sie überhaupt hin?» Unold war neben Geigy getreten und berührte ihn sacht am Arm.
«Hat Sie Ihre Frau wegen eines solchen Hundsfotts
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